Vergessene Welt
der Ferne hörte er die Raptoren fauchen, doch sie schienen
weit weg zu sein, oben auf dem Hügel. Aus irgendeinem Grund hatten sie sich der
Siedlung noch nicht genähert.
Thorne wartete
mit klopfendem Herzen und starrte den dunklen Eingang zu dem Schuppen an.
Schließlich gestand er sich ein, daß er sowieso keine Wahl hatte. Sie brauchten
Benzin. Er setzte sich in Bewegung.
Der Pfad zum
Schuppen war regenfeucht, doch in der Hütte war es trocken. Seine Augen gewöhnten
sich schnell an die Dunkelheit. Es war ein kleiner Lagerraum, vielleicht vier
auf vier Meter. Im trüben Licht sah er ein halbes Dutzend aufrecht stehender
Fässer. Drei oder vier lagen umgekippt auf dem Boden. Thorne lief schnell von
einem zum anderen und schüttelte sie. Sie waren alle leicht: leer.
Jedes dieser
Fässer war leer.
Enttäuscht ging
Thorne zum Eingang zurück. Er blieb einen Augenblick stehen und sah in die
mondhelle Nacht hinaus. Und während er noch so dastand, hörte er das unmißverständliche
Geräusch eines atmenden Lebewesens.
Im Laden ging Levine von Fenster zu
Fenster und versuchte, Thorne hinterherzusehen. Er zitterte vor Anspannung. Was
tat Thorne nur? Er hatte sich so weit vom Laden entfernt. Das war sehr
unvernünftig. Immer wieder sah Levine zur Vordertür und wünschte sich, sie
verriegeln zu können. Er fühlte sich einfach unsicher mit der unverriegelten
Tür.
Thorne war in
den Büschen verschwunden und nicht mehr zu sehen. Er war schon sehr lange weg.
Mindestens eine oder zwei Minuten.
Levine biß sich
auf die Lippe und sah zum Fenster hinaus. Er hörte das entfernte Fauchen der
Raptoren und erkannte, daß die Tiere offenbar oben am Eingang zum Laborkomplex
stehengeblieben waren. Sie waren den Fahrzeugen folglich nicht nach unten
gefolgt und kamen auch jetzt nicht nach. Warum nicht? fragte er sich, und diese
Frage stellte für ihn plötzlich eine willkommene Abwechslung dar. Sie war
beruhigend, beinahe tröstend. Eine Frage, auf die er eine Antwort suchen mußte.
Warum waren die Raptoren da oben stehengeblieben?
Alle möglichen
Erklärungen fielen ihm ein. Die Raptoren hatten eine atavistische Angst vor dem
Labor, dem Ort ihrer Geburt. Sie erinnerten sich an die Käfige und wollten
nicht wieder eingesperrt sein. Aber er befürchtete, daß die wahrscheinlichste Erklärung
auch die einfachste war – daß das Gebiet um das Labor das Territorium eines anderen
Tieres war, daß es geruchsmarkiert und abgegrenzt war und verteidigt wurde und
daß die Raptoren Angst hatten, es zu betreten. Sogar der Tyrannosaurier, das
fiel ihm jetzt ein, hatte es schnell und ohne anzuhalten durchquert.
Aber wessen
Territorium war es?
Levine starrte
ungeduldig zum Fenster hinaus.
»Was ist mit dem
Licht?« rief Sarah vom anderen Ende des Ladens. »Ich brauche hier Licht.«
»Gleich«, sagte
Levine.
Thorne stand am Eingang des Schuppens
und lauschte.
Er hörte leise,
schnaubende Atemgeräusche, wie die eines ruhigen Pferds. Ein abwartendes Tier.
Das Geräusch kam von rechts. Thorne drehte langsam den Kopf.
Er konnte
überhaupt nichts entdecken. Der Mond schien hell auf die Arbeitersiedlung. Er
sah den Laden, die Benzinpumpen und den dunklen Umriß des Jeeps, rechts nur
eine offene Fläche und das Rhododendrongestrüpp. Und dahinter den Tennisplatz.
Sonst nichts.
Er lauschte
angestrengt und starrte.
Das leise
Schnauben dauerte an. Es war kaum lauter als eine schwache Brise. Dabei war es
doch windstill, die Bäume und Büsche bewegten sich nicht.
Oder vielleicht
doch?
Thorne hatte das
Gefühl, daß irgend etwas nicht stimmte. Etwas direkt vor seinen Augen, etwas,
das er sah und doch nicht sah. Da er so angestrengt schaute, konnte es immerhin
sein, daß seine Augen ihm einen Streich spielten. Plötzlich glaubte er, in den
Büschen rechts von ihm eine leichte Bewegung zu erkennen. Das Muster der
Blätter schien sich im Mondlicht zu verändern. Zu verändern und wieder zu stabilisieren.
Aber er war sich
nicht sicher.
Thorne starrte
angestrengt in diese Richtung. Und dabei merkte er, daß nicht die Büsche seine
Aufmerksamkeit erregt hatten, sondern der Maschendrahtzaun. Fast auf der ganzen
Länge war der Zaun überwuchert mit einem Gewirr von Ranken, aber an ein paar
Stellen war das regelmäßige Rautenmuster der Drahtmaschen zu erkennen. Und
etwas an diesem Muster war merkwürdig. Der Zaun schien sich zu bewegen, schien
schwache Wellen zu werfen.
Thorne sah genau
hin. Vielleicht bewegt er sich ja wirklich, dachte
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