Vergessene Welt
Ich habe gehört, daß Amerikaner sich
manchmal hinfliegen ließen.«
»Keine
Deutschen?«
»Nein, nein.
Deutsche waren nicht mehr hier seit … ich weiß auch nicht. Seit dem Weltkrieg.
Die gekommen sind, waren Amerikaner.«
»Und wann war
das?«
»Ich bin mir
nicht sicher. Vor zehn Jahren vielleicht.«
Der Hubschrauber
schwenkte nach Norden und überflog die nächstliegende Insel. Thorne sah
zerklüftetes vulkanisches Terrain, von dichtem Dschungel überwuchert. Spuren
von Leben oder gar von menschlichen Behausungen waren nirgends zu entdecken.
»Für die
Einheimischen hier sind diese Inseln keine glücklichen Orte«, sagte der Pilot.
»Sie sagen, daß von dort nichts Gutes kommt.« Er lächelte. »Aber sie wissen ja
nichts. Sie sind abergläubische Indianer.«
Sie überflogen
jetzt wieder offenes Meer, Isla Sorna lag direkt vor ihnen. Es war unverkennbar
ein alter Vulkankrater: nackte, rötlich graue Felswände, ein erodierter Kegel.
»Wo landen die
Boote?«
Der Pilot deutete
auf eine Stelle, wo das wogende Meer gegen die Klippen krachte. »Auf der Ostseite
der Insel gibt es viele von den Wellen ausgewaschene Höhlen. Einige der Einheimischen
nennen sie deshalb auch Isla Gemido. Das heißt ›Insel des Stöhnens‹, nach dem
Geräusch, das die Wellen in den Höhlen machen. Einige der Höhlen reichen bis
ins Inselinnere, und zu gewissen Zeiten kann man mit dem Boot durchfahren. Aber
nicht bei Wetter, wie wir es jetzt haben.«
Thorne dachte an
Sarah Harding. Wenn sie kam, würde sie später an diesem Tag landen. »Es kann
sein, daß heute nachmittag noch eine Kollegin von mir kommt«, sagte er. »Können
Sie sie herbringen?«
»Tut mir leid«,
sagte der Pilot. »Wir haben anschließend einen Auftrag in Golfo Juan. Wir
kommen erst heute abend zurück.«
»Was kann sie
dann tun?«
Der Pilot spähte
aufs Wasser hinunter. »Vielleicht kann sie ja mit dem Boot kommen. Das Meer
ändert sich stündlich. Vielleicht hat sie Glück.«
»Aber Sie holen
uns morgen wieder ab?«
»Ja, Señor
Thorne. In den frühen Morgenstunden. Das ist die beste Zeit, wegen des Windes.«
Der Hubschrauber
näherte sich der Insel von Westen, stieg dann einige hundert Fuß und flog über
die Felsklippen ins Innere von Isla Gemido. Sie sah aus wie die anderen: Vulkanische
Grate und Schluchten, überwuchert von dichtem Dschungel. Aus der Luft sah das
alles sehr schön aus, aber Thorne wußte, daß das Vorwärtskommen in diesem
Terrain äußerst schwierig sein würde. Er starrte nach unten und suchte nach
Straßen.
Im Tiefflug
umkreiste der Hubschrauber die Mitte der Insel. Thorne konnte weder Gebäude
noch Straßen entdecken. Der Dschungel kam immer näher. Der Pilot sagte: »Wegen
der Klippen ist der Wind hier ziemlich schlimm. Viele Böen und Aufwinde. Es
gibt auf der ganzen Insel nur eine Stelle, wo man sicher landen kann.« Er spähte
zum Fenster hinaus. »Ah ja. Da.« Thorne sah eine von hohem Gras überwucherte
Lichtung.
»Hier landen
wir«, sagte der Pilot.
Isla Sorna
Eddie Carr stand im hohen Gras der
Lichtung und schützte sein Gesicht gegen den aufgewirbelten Staub, während die
Hubschrauber wieder abhoben und in den Himmel stiegen. Bald waren sie nur noch
kleine Punkte, der Rotorenlärm verklang. Eddie sah ihnen eine Weile nach und
fragte mit unglücklicher Stimme: »Wann kommen sie zurück?«
»Morgen früh«,
erwiderte Thorne. »Bis dahin haben wir Levine gefunden.«
»Zumindest
sollten wir das«, sagte Malcolm.
Die Hubschrauber
überflogen den hoch aufragenden Rand des Kraters und waren nicht mehr zu sehen.
Carr stand mit Thorne und Malcolm auf der Lichtung, die Morgensonne brannte auf
sie herunter, tiefe Stille hüllte sie ein.
»Irgendwie
unheimlich hier«, sagte Eddie und zog sich seine Baseballkappe tiefer in die
Stirn.
Eddie Carr war
24 Jahre alt und in Daly City aufgewachsen. Er war dunkelhaarig, kompakt und
stark. Sein Körper war stämmig, bepackt mit dicken Muskeln, aber seine Hände
waren elegant und feingliedrig. Eddie hatte ein Talent – eine geniale Ader,
würde Thorne sagen – für mechanische Dinge. Eddie konnte alles bauen, alles reparieren.
Er erkannte, wie Dinge funktionierten, indem er sie nur ansah. Thorne hatte ihn
vor drei Jahren eingestellt, es war Eddies erste Stelle nach dem College
gewesen. Eigentlich hätte es nur ein vorübergehender Job sein sollen, mit dem
er sich das Geld verdiente, um weiterstudieren zu können. Aber inzwischen war
Thorne abhängig von Eddie.
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