Vergib uns unsere Sünden - Thriller
mit schmaler Fensterfront in der Marion Street, nur ein paar Straßen von meiner Wohnung entfernt, esse ich zu Abend. Gebackenes Hähnchensteak, grünen Salat, Pommes frites. Ich trinke 7-Up aus der Flasche. Meine Pommes tunke ich in Mayonnaise und Ketchup. So mag ich sie am liebsten. Ich würde gerne beim Essen rauchen, aber ich habe es vor einiger Zeit aufgegeben und will meine Standhaftigkeit testen. Catherine hat mir immer Standhaftigkeit attestiert. »Man braucht Standhaftigkeit, um das zu tun, was du tust«, hat sie gesagt, und ich habe gelächelt und genickt und nichts darauf geantwortet.
Und jetzt ist sie tot.
Morgen werde ich aufstehen wie jeden Tag. Ich werde mich anziehen. Einen Anzug tragen. Ich werde wie jeden Tag zur Arbeit gehen, und wahrscheinlich wird eines der Mädchen eine Bemerkung zu meinem Anzug machen und sagen: »Hey, John, haben Sie heute ein heißes Date oder was?«, und ich
werde lächeln und mit dem Kopf nicken oder ihr verschwörerisch zuzwinkern, und sie wird sich wieder einmal wundern. Wie sie alle, zumindest hin und wieder. Keiner wird so recht klug aus dem Englischdozenten in Zimmer 419.
Und wenn es zu Ende ist, und das wird es bald sein, dann gibt es in der Dozenten-Mensa viel Gesprächsstoff. Sie werden sich gegenseitig Fragen stellen, sie werden Vermutungen anstellen und versuchen, das alles zu verstehen. Aber das wird ihnen nicht gelingen. Nicht einmal ansatzweise. Und die Studenten werden reden und Gerüchte tauschen und sich fragen, wie viele ich getötet habe. Oder ob ich überhaupt jemanden getötet habe.
Wie kann es angehen, dass immer, wenn man Gutes tun will, die guten Menschen daherkommen und es vermasseln? Wer hat das gesagt? Ich glaube, es war LaGuardia. Fiorello Henry LaGuardia - »das Blümchen« -, New Yorker Bürgermeister von 34 bis 45. Er wusste Bescheid. Er wusste, was wir für welche sind. Von außen betrachtet ganz okay. Aber die Scheiße, die wir gebaut haben? Mein Gott, was haben wir für schmutzige Sachen gemacht. Und wir haben nicht aufgehört damit. Leute wie ich, die irgendwo noch überzeugt davon waren, einer guten Sache zu dienen und etwas zu verändern. Catherine Sheridan und John Robey reisen bis ganz nach Managua hinunter, um die Scheißwelt zu verändern. Ja, verändert haben wir etwas, und den Widerhall dieser Veränderung hört man noch nach fünfundzwanzig Jahren. Bis nach Washington, bis hinein in das Leben von Menschen, die damals nicht einmal wussten, wie ihnen geschah. Menschen wie Margaret und Ann und Barbara und Natasha. Menschen wie Darryl King. Und jetzt Robert Miller. An der Oberfläche gekratzt? Scheiße, der Junge hat die Oberfläche noch gar nicht zu sehen gekriegt, geschweige denn das, was sich darunter verbirgt.
Wie kann es angehen, dass jedes Mal, wenn man Gutes
tun will, die guten Menschen angelaufen kommen und es vermasseln?
Ich will euch sagen, warum. Weil Gutes keine Rendite bringt. Da liegt der Hund begraben, Freunde der Sonne. Gutes bringt keine Rendite.
42
Zurück im Dienstraum des Zweiten Reviers suchte Roth seine Notizen von dem Treffen mit Lorentzen, dem Chef der Sicherheitsabteilung der Washington American Trust Bank in der Vermont Street, heraus.
»Am 11. April 2003 hat McCullough das Konto eröffnet«, sagte er. »Ungefähr einen Monat nach seinem Ausscheiden aus dem Department. Er hat fünfzig Dollar eingezahlt. Der Kontobetreuer war Keith Beck …«
»Der nicht mehr bei der Washington American Trust Bank arbeitet«, fiel Miller ihm ins Wort. Er zog sein Jackett aus und hängte es über die Lehne eines Stuhls neben dem Fenster. Er hatte Roths Notizblock und die Notizen, die er in der Gerichtsmedizin gemacht hatte, und begann damit, die Weißbretttafel mit den Daten der Sicherheitsüberprüfung von Mosley, Rayner und Lee vollzuschreiben. An den unteren Rand des Bretts schrieb er noch den Namen von Darryl King und daneben »August 1995«.
»Das«, sagte er leise, »öffnet einen ganz neuen Zugang.«
»Und wie sollte der aussehen?«, fragte Roth.
»Dass sie alle einmal andere waren, als sie zu sein vorgaben. Ich meine, okay, bei Catherine Sheridan hatten wir den Verdacht, seit diese Isabella-Cordillera-Geschichte ans Licht kam, aber nicht bei anderen.«
»Glaubst du noch an die Zeugenschutz-Geschichte?«, fragte Roth. »Zumindest wäre das eine Erklärung dafür, dass
Darryl King mit dem Police Department zusammengearbeitet hat.«
»Zeugenschutz ist doch in erster Linie eine Bundesangelegenheit,
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