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Vergiftet

Vergiftet

Titel: Vergiftet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Enger
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könnte.
    Aber erst muss es ihm wieder besser gehen.
    98
    Henning setzt sich an seinen Arbeitsplatz und reibt sich mit den Händen über das Gesicht. Der Platz ihm gegenüber ist leer. Gott sei Dank ist die Geschichte mit Iver gut ausgegangen, denkt er. Henning weiß, dass Iver allein für sein Tun verantwortlich ist, trotzdem würde sein Kollege ohne ihn nicht im Krankenhaus liegen.
    Er starrt vor sich hin. Tore Pulli wurde ermordet, denkt Henning. Es ist also anzunehmen, dass die Polizei seine Telefonverbindungen aus dem Gefängnis überprüft, schließlich können sie nur so erfahren, mit wem er Kontakt hatte. Oder sie sparen sich diesen Ermittlungsschritt, weil sie wissen, dass Ørjan Mjønes dahintersteckt. Warum sollten Sie sich da noch die Telefonverbindungen anschauen? Es interessiert sie sicher mehr, mit wem Mjønes Kontakt hatte.
    Auf dem Weg zurück in die Redaktion hat Henning Knut Olav Nordbø im Osloer Gefängnis angerufen und erfahren, dass die Telefonverbindungen eines Insassen in der Regel nach ein paar Tagen gelöscht werden, wenn der Betreffende entlassen wird oder verstirbt. Darum könnte es für eine Überprüfung bereits zu spät sein. Er selbst würde niemals Einblick in die Verbindungsübersicht bekommen, der Polizei hingegen wäre das mit einem Gerichtsbeschluss möglich.
    Henning ruft Pia Nøkleby an. Als er ihre müde, resigniert klingende Stimme hört, weiß er, dass er die Höflichkeitsphrasen heute besser weglässt. Er widersteht auch dem Drang, sie zu fragen, ob sie noch immer glaubt, dass Tore Pulli Jocke Brolenius umgebracht hat.
    »Ich will mich kurz fassen«, beginnt er. »Es geht noch einmal um Tore Pulli – nutzen Sie alle Ressourcen für Ørjan Mjønes, oder werden auch noch andere Aspekte verfolgt?«
    »Wir arbeiten auch noch mit anderen Hypothesen.«
    Henning wartet auf mehr, aber es kommt nichts. »Können Sie mir sagen, welche Hypothesen das sind?«, fragt er dann.
    »Zum jetzigen Zeitpunkt nicht, nein«, sagt sie reserviert.
    »Haben Sie eine Theorie, warum Tore Pulli umgebracht worden ist?«
    »Dazu kann ich nichts sagen.«
    Henning zögert. »Wie sieht es mit Pullis Telefonverbindungen aus dem Gefängnis aus? Haben Sie um die Liste gebeten?«
    »Henning, ich kann mit Ihnen keine konkreten Ermittlungsschritte diskutieren.«
    Er seufzt leise. »Ich glaube, es wäre klug, wenn Sie sich diese Verbindungsübersicht beschaffen würden.«
    »Mag sein, dass Sie das denken.«
    Henning kommentiert den ironischen Unterton nicht.
    »Das war eigentlich schon alles. Doch, eine Sache noch. Gehen Sie morgen zur Beerdigung?«
    »Das haben wir noch nicht entschieden.«
    »Ah ja. Ich gehe hin.«
    »So, so. Dann teilen Sie uns doch gerne mit, wenn Sie es wieder einmal klug von uns fänden, einer neuen Spur nachzugehen.«
    »Das …« Henning verstummt und lächelt. Und als Nøkleby kurz darauf auflegt, ohne sich zu verabschieden, lächelt er noch breiter.
    99
    Das Licht, das durch das Fenster der Solvangkirche fällt, taucht den Boden in einen kalten, bläulichen Schimmer. Passend zum Bezug der Stühle, denkt Henning, als er vom Eingang in den rechteckigen Raum blickt. Tore Pullis Sarg steht weiß und von Blumen bedeckt vor der Kanzel. Lange weiße Schleifen mit goldenen Buchstaben verkünden Trauer und letzte Grüße.
    Eigentlich sollte Henning in die Kirche gehen, aber er hat nicht die Kraft, der eigentlichen Trauerfeier beizuwohnen. Auf dem Weg zum Grab mischt er sich dann aber doch unter die Trauergäste. Zum einen weil er neugierig ist, wie Tore Pullis Freunde sich verhalten, zum anderen weil Heidi Kjus ihn gebeten hat, die Veranstaltung mit der Kamera zu dokumentieren. Er macht so diskret wie möglich ein paar Nahaufnahmen, Bilder von knallharten Typen, die nur mit Mühe ihre Tränen zurückhalten können. Petter Holte fährt sich mit der Hand über den kahl rasierten Schädel und atmet schwer. Seine Kleider spannen über den Muskeln. Geir Grønningen hängen die glatten, langen Haare ins Gesicht; heute trägt er keinen Pferdeschwanz. Und auch sein massiger Oberkörper scheint heute ganz der Schwerkraft zu gehorchen. Kent Harry Hansens Augen glänzen. Die Sonne lässt seine kurzen weißen Haare leuchten.
    Henning macht ein paar Gruppenbilder, während immer mehr Menschen kommen. Da nähert sich ein Mann, der ihm irgendwie bekannt vorkommt. Unter der schwarzen Anzugjacke spannen die Muskeln. Er geht federnd und leicht, blickt sich auffallend oft um und sieht aus, als wollte er jeden

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