Verirrt in den Zeiten
den
Verlust Agathes, über deine unerfüllbaren Erfinderpläne;
denn du findest ja Agathe wieder, deine Erfindung wird verwirklicht.
Doch gleich darauf fährt der Traum fort: Aber
wenn du Agathe wiederfindest, wird sie dir sogleich entrissen
werden, und die Verwirklichung deiner Erfinderpläne bedeutet
deinen Untergang.
Der Gewinn seiner Träume wäre zu gering, wenn sie ihm
nicht für diese neue Wunde Linderung brächten. Darum erfindet
seine geschäftige Phantasie die edle Gestalt des Malers
Konradin, dessen Bildern Unsterblichkeit gebührte — wären
sie nicht verbrannt; darum läßt er den Heereszug Wallensteins
an sich vorüberziehen: den Stolz und Schrecken seiner
Zeit — und heute ein Schattenbild, ein Traum, in Staub und
Dunst ein Haufen längst vermoderter Gespenster; darum ragt
aus den Nebeln seiner Träume das mächtig-düstre Haupt des
Ahasverus, sein tragischer Gegenspieler. Auch der Ewige Jude
hat die Zeit bezwungen — gleich Erasmus — und leidet doch
durch diesen Sieg Unmenschliches und wünscht nichts sehnlicher,
als diesem Siege zu entrinnen.
All dies ist nur ein Traum: die weltbewegende Erfindung,
der Wunderflug ins siebzehnte Jahrhundert, Agathes Wiederfinden,
der Ratsherr Matthäus Büttgemeister, der Priester
Friedrich von Spee und Konradin und Wallenstein.
All dies buntbewegte Treiben ist nur ein Traum: »Aus ihren
Rahmen stiegen, schritten, schwebten Ratsherren, Ritter,
Mönche, Frauen, klirrend und kosend, scherzend und scheltend,
und wandelten umher, gespreizt und gravitätisch, und
redeten in längst verschollnen Zungen und liebten und trogen
und haßten und litten . . .«
Daß solch ein verzückter Schwärmer wie Erasmus, hingegeben
der Begierde nach versunkenen Zeiten, auf seinen
traumverlorenen Wanderungen auch in ein längst vergessenes
Gefängnis gerät und, in seinen Traum versponnen, hier den
geeigneten Ort wähnt, um sein »Einziges, sein alles, seine
Werke« zugleich zu bergen und zu verbergen, um von seinem
ungeheuerlichen Erleben Kunde zu geben und doch wiederum
— auch hier ein seltsames Widerspiel — die Kunde zu
verhindern — dies wäre nicht befremdlich.
All das wäre nun zwar recht interessant, aber nur für den
Psychiater, nicht für den Leser — wenn nicht jene Träume zugleich
ein Kunstwerk wären.
Hier können wir einmal aus nächster Nähe den merkwürdigenProzeß betrachten, wie sich das Gebrest im Leib der
Muschel zur Perle formt, wie das Blut, das aus der Wunde
des Baumes träufelt, zum wohlriechenden Balsam wird. Der
Schmerz wird hier zum Wahn, der Wahn zur Poesie, und im
Traumgewölk verdämmernd, führt der schmale, schmerzensreiche
Pfad zwischen Genie und Irrsinn.
Wenn wir die irren Träume Erasmus Büttgemeisters als
Dichtung gelten lassen, dann werden sie zur Allegorie für ein
bedeutungsvolles Gleichnis: Die Sphinx der Zeit, die hinter
unsern Tagen lauert, zerschmettert jeden, der es wagt, ihr
Rätsel zu durchdringen. Dem Menschen ist der Raum gegeben,
daß er ihn beherrsche; doch die Zeit ist Gottes. Und wer
sich vermißt, sich mit dem Unermeßlichen zu messen, der
muß zerschellen!
Verirrung und Bestimmung
E rasmus Büttgemeister hat vieles gemein mit den großen tragischen
Figuren der Literatur. Er rüttelt an der Ordnung der
Welt, gibt sich mit dem Beständigen, dem Überkommenen
nicht zufrieden, nimmt den Kampf auf mit den Widrigkeiten
der Zeit, in die er hineingeworfen wird, ist machtvoller
Schöpfer und furchtbarer Verderber in einem. Er versucht
Gott — und mehr: göttliche und weltliche Gesetze sollen sich
seinem Willen beugen. Damit vertritt Büttgemeister menschliches
Streben und Erkenntnisdrang jeder Epoche, aber er ist
auch das Symbol des wissenden, machtvollen Revolutionärs
im steten Widerstreit mit der Reaktion; ebenso ist er der um
Erkenntnis und Beherrschung der Natur ringende apolitische
Wissenschaftler, für den die sozialen Folgen seines Handelns
nicht voraussehbar sind. Seine naiv-utopischen, menschheitsbeglückenden
Ziele fallen der Unangemessenheit selbstsüchtiger
Mittel zum Opfer. Und Büttgemeister ist in Gefahr, der
Lust am Herrschen zu verfallen, ein potentieller Diktator,
dem lediglich die Verbindung zur weltlichen Macht fehlt, um,
verzichtend, auf die ebenso reale Möglichkeit eines beschaulichen,
idyllischen privaten Glücks, zum Imperator aufzusteigen.
Er vermag die Welt aus den Angeln zu heben, böte sich
ihm ein ruhender Pol in dem Wirrwarr weltlicher und religiöser
Machtkämpfe, um den Hebel anzusetzen,
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