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Verirrt in den Zeiten

Verirrt in den Zeiten

Titel: Verirrt in den Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Levett
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Idee der Preisgabe revolutionärer Ideale, der Vorschlag
des »Bescheide dich in deiner Zeit« enthält neben kleinbürgerlicher
Ideologie auch einen positiv-konservativen Zug,
der in Zeiten des revolutionären Pathos und gesellschaftlichen
Umbruchs wenig gilt, aber in den langen Alltagen dazwischen
eine kleine Idylle privaten Glücks für breite Bevölkerungsschichten
ermöglicht. Konsequent weitergedacht
heißt das: Sei im Einklang mit den Gesetzen Gottes, der Natur
und der Gesellschaft. Und es hängt durchaus vom Charakter
jener Gesetze ab, ob diese Maxime für den einzelnen ein
Leben als Gleicher in der Gemeinschaft Gleicher garantiert,
ob das Glück des einen auch zur Bedingung des Glücks der
Gemeinschaft wird — oder ob sich diese wohlklingende Forderung
als Versuch herausstellt, soziale Konflikte auf Kosten
der Masse des Volkes zu verkleistern und ungelöst zu erhalten.
    Im Namen des sittlichen wie wissenschaftlichen Fortschritts
nimmt Büttgemeister die Herausforderung an — obwohl die
Niederlage voraussehbar ist. Die Idee scheitert an der praktischen
Welt. Es ist nicht möglich, die utopische Moral zur
Grundlage der Bewertung einer Gesellschaft zu machen, die
diese Moral noch nicht kennt.
    Der einzelne scheitert an der festgefügten Ordnung der
Welt; hier sind andere Kräfte vonnöten.
    Der potentielle Diktator scheitert an seiner eigenen Korrumpierbarkeit;
unbewußt und in bester Absicht vergewaltigt
er stets das Wohl des Volkes, dessen soziale Basis er längst
nicht mehr teilt.
    Ein fürwahr tragisches Schicksal. Wir erleben einen Helden,
der sich bereit macht, »die Welt aus den Angeln zu heben«,
teils aus dem Bemühen, sie zu bessern, teils mit der Absicht,
sie aus Rache für Unverstandensein zu schulmeistern. In
keinem Falle aber würde es der Welt, den Menschen zum
Vorteil gereichen. Fast erschreckt die Erkenntnis, daß dieserErasmus Büttgemeister in allem aber doch ein — für das
20. Jahrhundert — überaus durchschnittlicher Zeitgenosse ist.
Erst die außergewöhnliche Situation beweist seine Unreife
und Gefährlichkeit, ja noch verblüffender: Büttgemeister ist
ebenso eine sympathische, positive, sogar bemitleidenswerte
Figur. Wird er doch als Spielball höherer Mächte umhergestoßen,
herausgerissen aus vertrauter Umgebung, zuvor verflucht,
als er dem Ewigen Juden seine Zeitmaschine vorenthält,
womit dieser — welch schöner Witz — am Ende aller Zeiten
Erlösung zu erhalten hoffte.
    Warum verkehren sich Büttgemeisters beste Absichten unter
den eigenen Händen ins Gegenteil? Nicht nur anderen
bringt er Verderben und Unglück, er selbst muß sich als unverstandenes
Opfer fühlen. Man darf ihm nicht vorwerfen, er
hätte Einsicht zeigen, Grenzen erkennen, sich anpassen müssen.
Erasmus Büttgemeister hatte nie die Wahl, sich mit der
Intoleranz, mit klerikalem Eifer und Dogmatismus seiner
neuen Zeitgenossen aus dem 17. Jahrhundert abzufinden; es
hätte denn der Aufgabe eigener Persönlichkeiten bedurft. Unter
Dummheit und rücksichtsloser Machtgier anderer muß
man leiden — oder sich an deren Spitze stellen. Und auch der
Kampf dagegen bedeutet Aufopferung und Leid. Aber ein
Versteck abseits von den großen zeitgeschichtlichen Konflikten
bietet sich einem ungebeugten Charakter nicht.
    Es erhebt sich die Frage, ob der tragische Unfall mit der
Zeitmaschine allein die Schuld trägt an Büttgemeisters
Schicksal, ob es also im Leben eines Menschen jene entscheidende
Weiche gibt, von der dessen gesamtes ferneres Dasein
abhängt. Wie erginge es dem jungen Erfinder, bliebe er in seiner
Zeit, erlebte er das Jahr 1906 und die folgenden?
    Deutschland brauche den »Platz an der Sonne«, hatte
Bernhard Fürst von Bülow, Staatssekretär des Auswärtigen
Amtes und späterer Reichskanzler, bereits Ende 1897 im
Reichstag verkündet und damit die Rechtfertigung für die
Militarisierung des gesamten öffentlichen Lebens geliefert,
die die folgenden Jahre zur Vorkriegszeit machen sollten.Der auf dem internationalen Kolonialmarkt zu kurz gekommene
deutsche Imperialismus, den von Bülow kurzerhand
zum wahren und einzigen Vertreter Deutschlands erklärte,
machte mobil und ging aus der ersten zyklischen Weltwirtschaftskrise
zu Beginn unseres Jahrhunderts mit um so größerem
Expansionswillen hervor. Ein Expeditionskorps wurde
gen China entsandt, und Aufstände der Hottentotten und
Hereros in Deutsch-Südwestafrika lenkten von ersten großen
politischen Streiks in Deutschland selbst ab. Und als im Dezember
1906

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