Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verirrt in den Zeiten

Verirrt in den Zeiten

Titel: Verirrt in den Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Levett
Vom Netzwerk:
viermal gesehen habe.
    Und doch könnte ich nicht beschreiben, was ihn so absonderlich
machte, so unheimlich, so außerordentlich. Dazu
müßte man ein Künstler sein.
    Die Tracht war’s nicht, obwohl sie altmodisch und merkwürdig
genug war. Auch das Aussehen war es nicht. Ich kann
mir schließlich vorstellen, daß in der Berberei, in Äthiopien
oder sonst irgendwo im Osten alle Männer so aussehen.
    Der Gesichtsausdruck war’s. Irgend etwas war in diesem
Gesichte, was sonst jedem Menschenantlitz fremd ist. Oder
besser gesagt, umgekehrt: Etwas fehlte dem Gesichte dieses
Menschen, was sonst in jedes Menschen Antlitz heimisch ist:
Mitleid und Hoffnung.
    Dieser Mensch — das glaubte ich in seinen Zügen zu lesen
— hatte ungeheure Schuld auf sich geladen und mußte dafür
ungeheure Buße tun. Und in der Hoffnungslosigkeit des eignen
Leids blieb ihm das Leid der andern Menschen fremd. ›Es
stand ihm an der Stirn geschrieben, daß er mag keine Seele
lieben.‹
    Ich warnte meinen Sohn vor der Gemeinschaft, doch er
verlachte mich.
    Fast schien es, als ob ich diesmal Unrecht behalten sollte.
Seine Arbeit, die an einen toten Punkt geraten war und infolge
der Erschöpfung unsrer Geldmittel gestockt hatte, die
Arbeit ging wieder vonstatten; ja, wenn ich ihm glauben
durfte, stand sie vor der Vollendung.
    Nun gäbe es nichts mehr zu befürchten, so versicherte er,
das letzte Hindernis sei beseitigt; in zwei Tagen werde er
mir die fertige Maschine vorführen. Und das hatte er mir
noch nie versprochen.
    Wie ich mich freute! Aber man darf sich auf nichts freuen.«
Siebentes Kapitel
    » S o kam der 25. April. Wie froh ich ihn begrüßte, den Unglückstag.
Ich war voll festlicher Erwartung; denn am nächsten
Morgen sollte ich die fertige Maschine sehen.
    Erasmus arbeitete vormittags wie gewöhnlich, aber gar
nicht unruhig oder nervös. Ich hörte, wie er in aller Seelenruhe
vor sich hin pfiff, und mittags bei Tische, da sah ich’s
schon an seinen Augen, da brauchte er mir’s gar nicht erst zu
sagen, daß alles gut ging, daß er am Ziele war.
    Nach dem Mittagsmahle legte ich mich ein wenig zur
Ruhe, denn der Tag war ungewöhnlich warm.
    Und ich schlief ein. Es war kein friedlicher Schlummer, der
mich umfing: Wirre, böse Träume jagten einander, und ich
erwachte mit einem Aufschrei, entsetzt durch ein furchtbares
Traumgesicht, das ich jedoch sogleich vergaß.
    Draußen hörte ich lauten, heftigen Wortwechsel. Das war
es offenbar, was mich im Schlaf geängstigt hatte und nun
weckte.
    Ich stürzte zur Türe hinaus. Der Fremde stand draußen.
Vor Erasmus’ Arbeitszimmer stand er, mit drohend erhobenen
Fäusten, und ich sah eben noch, wie Erasmus ihm vor der
Nase die Türe krachend zuschlug und versperrte.
    Eine Sekunde lang konnte ich Erasmus’ Angesicht sehen.
Es trug den Ausdruck höhnischen Trotzes, aber auch der Bestürzung,
ja des bleichen Entsetzens.
    Im ersten Augenblick durchfuhr es mich wie schadenfrohe
Genugtuung: er hatte ihn hinausgeworfen. Prächtig. Also
auch hier ein Erfolg. Nun kann’s an nichts mehr fehlen.
    Aber die bösen Träume mahnten drohend, und das Entsetzen,
das ich in Erasmus’ Miene gelesen hatte, teilte sich mir
mit.
    Ich stand dem Fremden gegenüber. Wortlos blickte er mich
an aus seinen eiseskalten, unergründlich dunklen Augen,
Augen wie erstorbne Lavagluten.
    Und wie er mich so anblickte, da sanken seine Fäuste, dasenkte sich auf dieses mächtig düstre Haupt, das wie aus tausendjährigem
Fels gemeißelt schien, ein zarter Glanz des Mitleids
— wie ein Mondesstrahl, der Urgestein liebkost. Nur
einen flüchtigen Augenblick, doch mich erfüllte es mit unsäglicher
Schwermut.
    Dann wendete er sich und stieg hinab, mit seinen weit ausholenden
und doch so müden Wanderschritten.
    Ich konnte mich nicht enthalten, ich ging ans Fenster und
sah ihm nach, wie er durch die Felder schritt, dem Waldrand
zu.
    Und als er an den Kreuzweg kam, da machte ich halb unbewußt,
aus dunkel ahnungsvollem Herzen das Zeichen des
Kreuzes. Ich wußte selbst nicht, sollte es Bannung sein, Trostspruch
oder Abschiedsgruß.
    Und nun war’s wie ein Wunder. Es war, als ob das heilige
Zeichen durch die Luft entschwebe dem Wandrer nach und
auf ihn niedersänke. Nieder sank sein Haupt wie unter Zentnerlast
und mir war’s, als wendete er sich um mit einem Blicke
unsagbarer Schwermut.
    Dann zog er weiter seines Weges, mit weit ausholenden und
doch so müden Schritten. Zog weiter, bis er am Waldesrand
verschwand.«
Achtes

Weitere Kostenlose Bücher