Verirrt in den Zeiten
unfaßbare, ungeheuerliche, tief geheimnisvolle
Art.
Dies der Bescheid der Astrologen — von denen der eine in
Stuttgart, der andere in Königsberg wohnte. Merkwürdig,
daß er in allen wesentlichen Punkten, bisweilen beinahe wörtlich
übereinstimmte.
Nun wissen Sie, welcher Kummer mir das Herz verzehrt.
Das furchtbare Rätsel, vor dem ich stehe.
Und ich kann nicht sterben, eh’ ich dieses Rätsels Lösung
erfahre.
Ich bin bald siebzig Jahre alt und habe auf Erden nichts
mehr zu vollbringen. Ich werde keine Lücke hinterlassen,
denn ich steh’ allein. Das Leben bietet mir nicht Freude oder
Hoffnung; denn meine einzige Freude und Hoffnung war
mein Kind.
Und dennoch will ich nicht sterben. Ich will nicht sterben,
eh’ ich nicht von meinem Kinde Nachricht habe.
Und ich weiß, er wird mir Nachricht geben. Mit allen Kräften
meines müden Herzens glaube ich daran, daß er mir
Kunde geben wird.
Vielleicht aus einem fernen Weltteil, vielleicht von einem
fremden Stern — ja, wenn es Gott nicht anders will, aus einem
anderen Jahrhundert. Ich warte drauf. Dann will ich gerne
sterben.
Und eine Ahnung sagt mir, daß Sie es sind, den Gott dazu
erkoren hat, mir diese Kunde zu vermitteln. Schon darum allein
bin ich Ihnen so von Herzen gut.«
Zehntes Kapitel
I ch konnte nur mit einem stummen Händedruck erwidern
und ging. Quälendes Grübeln bemächtigte sich meiner. Es
war nicht nur der Kummer meiner mütterlichen Freundin, der
mich tief ergriff, nicht das düstre Rätsel, das mich dumpf bedrückte
— dunkle Zusammenhänge waren’s, die mich fesselten
und schreckten.
Wie war doch die Konstellation am Tage des Verschwindens
Erasmus Büttgemeisters? Neptun im vierten Hause. Uranus,
Jupiter, Saturn in Konjunktion und im Trigon zu Mond
und Sonne.
Die gleiche Konstellation berichtet der Mönch von Oldisleben
vom 9. Juli 1632, dem Tage, da der Fremde sich in Ansbach
plötzlich zeigte. Freilich schweigt er von Neptun und
von Uranus. Aus guten Gründen. Denn die waren damals
noch nicht bekannt.
Und hatten die Astrologen nicht der alten Frau erklärt, ein
solches Zusammentreffen der Gestirne finde nur alle drei
Jahrhunderte statt und es bedeute Außerordentliches, Unaufgeklärtes?
Erasmus Büttgemeister war im April 1906 verschwunden.
Im Jahre 1906 — so melden alle Quellen — wurde der Fremde
von Ansbach rückversetzt ins 17. Jahrhundert.
Was war es doch für eine Erfindung, an die Erasmus Jahre
seines Lebens wendete, »das Größte, was je Menschengeist
ersann«? Was war das für eine Maschine, die plötzlich unsichtbar
werden konnte?
War der Mann, den ein Warnbühler als Genie bezeichnete,
ebenbürtig Galilei, Newton, aus dessen Zügen Lenbach ungeheuren
Verstand und unbeugsamen Willen sprechen ließ, war
dieser Mann ein Narr, ein Schwärmer?
Ich trat vors Bildnis hin, den Leuchter in der Hand, und
ließ die Lichter und die Schatten der Kerzenflamme darauf
spielen, gleichsam um diese streng beherrschte Ruhe zur Bewegung
zu beleben, als könnte dieser herb verschlossene
Mund sich öffnen und das Geheimnis jener trotzigkühnen
Stirn verraten.
Was hatte sich in diesem Raume hier, wo ich selbst seit vielen
Wochen lebte, zugetragen: ein heimliches Verbrechen
oder die Tragödie eines Genies, das Ungeheures unternahm
und Ungeheures erlitt?
Immer wieder, auch in den nächsten Tagen, kreisten meine
Gedanken um diesen Gegenstand; wurde ich doch durch
meine tägliche Umgebung stets aufs neue dran erinnert.
Schließlich wurde dieses fortwährende Grübeln so quälend,
daß ich soviel als möglich außer Hause arbeitete und trotz der
schlechten Jahreszeit weite Spaziergänge machte, nur um das
Haus zu meiden.
Elftes Kapitel
B ei einem dieser Spaziergänge, Mitte Dezember war’s, wurde
ich mitten auf freiem Felde von einem heftigen Schneesturm
überrascht. Mit schwerer Mühe rettete ich mich in ein einsames
Gehöft.
Ich fand freundliche Aufnahme, und als es Essenszeit war,
nötigte man mich, an dem Abendmahl teilzunehmen. Geldvergütung,
die ich anbot, wurde entschieden abgelehnt, dagegen
ein paar Zigarren, die ich bei mir hatte, mit freudigem
Danke angenommen. Nun war das freundschaftliche Einvernehmen
erst recht hergestellt, und wenngleich es mit der gegenseitigen
Verständigung nicht ganz glatt ging, so war doch
bald ein gemütliches Gespräch im Gange. Das Gefühl der Geborgenheit,
hier in der warmen Stube, indes draußen der
Schneesturm heulte, die urwüchsige Ausdrucksweise meiner
Partner und ihre freundlich-klugen
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