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Verkehrte Welt

Verkehrte Welt

Titel: Verkehrte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen von der Lippe
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DAS SCHACHSPIEL
    Punkt elf Uhr betrat Jiri Stepanow das kleine Café, das sie für ihre Entscheidungspartie ausgemacht hatten. Roman Ivanauskas war noch nicht da. Jiři entschied sich für einen Tisch im hinteren Teil des Ladens, weil sie dort vermutlich ungestört würden spielen können. Die Bedienung, eine fast quadratisch wirkende Mittsechzigerin, fragte strahlend nach seinen Wünschen. »Das französische Frühstück für zwei bitte«, bestellte er.
    »Ach, es kommt also noch jemand?«, fragte sie auf eine Art und Weise, die Jiri augenblicklich den Schweiß auf Stirn und Handflächen trieb.
    Die Stimme klang quäkig und viel zu laut und kam überdies im typisch rheinischen Singsang daher, den er seit seiner Ehe hasste wie die Pest.
    Trotzdem quälte er sich ein Lächeln ab und sagte: »Hoffentlich.«
    »Ach, Sie haben ein Rendezvous und sind sich noch nicht sicher, ob die junge Dame auch kommt?«, fragte die Kellnerin, deren Interesse sich vom Kellnern zur Gesellschaftsspalte verlagert zu haben schien, wie die Klatschjournalisten ihr Gewerbe zu euphemisieren pflegen.
    »Nein, ich erwarte einen Herrn«, gab Jiri zurück, und zu seinem Entsetzen bemerkte er, dass er nur noch eine Winzigkeit vom Verlust der Selbstbeherrschung entfernt war.
    »Oder so«, trompetete die Kellnerin und ging endlich.
    Jiri schloss die Augen und konzentrierte sich auf seinen Atem, wie er es gelernt hatte. Er registrierte erleichtert, wie sein Herzschlag langsamer wurde, und packte das Schachspiel aus. Es war ein wunderschönes altes Klappspiel aus Kirschholz, etwas mehr als halb so groß wie ein Turnierbrett, mit Figuren aus Elfenbein. Sein Großvater hatte es ihm vererbt, und Jiri trug es fast immer bei sich. Fast zärtlich begann er, die Figuren aufzubauen.
    »Wat wird dat denn, wenn et fertisch is?«, riss ihn die Presslufthupenstimme der Kellnerin aus seiner Andacht.
    »Wonach sieht es denn aus?«, fragte Jiri in einer Anwandlung von Patzigkeit zurück, die er sich nur sehr selten gönnte.
    »Jetzt nur nisch pampisch werden, Freundschen«, ging die Bedienung hoch wie ein Chinaböller, »dat is hier en Café un keine Spielhölle.«
    »Schach ist kein Glücksspiel, gute Frau«, sagte Jiri, »in den meisten Cafés, die ich kenne, werden Schachspieler sehr gerne gesehen.«
    »Na, dann haben Sie ja jede Menge Ausweichmöglichkeiten, hier wird jedenfalls nicht mehr gezockt.«
    Ignoranz und Aggressivität sind meine Lieblingskombination. Das dachte er natürlich nur, denn Fremdwörter würden den im falschen Körper gefangenen Hauptfeldwebel gewiss nur noch höher auf die Palme jagen.
    »Ist Ihr Chef der gleichen Ansicht?«, fragte Jiri betont ruhig.
    »Hier gibt es keinen Chef, Burschi, sondern eine Chefin«, fuhr sie ihn an.
    »Dann holen Sie die doch, bitte.«
    »Von mir aus, wenn Sie sofort rausfliegen wollen.«
    Sie drehte ab und marschierte auf die Küche zu. Jetzt bemerkte Jiri auch ihre fast affenhaft behaarten Beine, was sein Gefühl, in einer Geisterbahn zu sitzen, verstärkte. Dabei hatte Roman das Café so warm empfohlen. In diesem Moment erklangen leise Geigentöne aus einer offenbar teuren Stereoanlage, und Jiri entspannte sich. Er kannte das Stück, ein Streichsextett von Haydn, es hieß Echo, Divertimento Es-Dur für zweimal zwei Violinen und Bass, in verschiedenen Zimmern aufgestellt. Oh, lä, lä, passender könnte die Musikuntermalung für unser Turnier-Endspiel nicht sein, dachte er entzückt, da flog die Küchentür auf.
    Eine ebenfalls fast quadratisch und maskulin wirkende Frau erschien. Sie trug eine Augenklappe, und ihr Gesicht war von einer soliden Pubertätsakne verwüstet. Aber das Ungewöhnliche war ihre Größe. Es mochten vielleicht 1,20 m sein. Und sie trug High Heels.
    Jiri versuchte, sich seine Überraschung nicht anmerken zu lassen.
    »Gnädige Frau ...«, setzte er an, als sie ihn schon mit dröhnendem Bass unterbrach: »Wissen Sie, wat Sie können?«
    »Keine Ahnung«, antwortete der verdutzte Tscheche.
    »Sich Ihre Schachpüppchen einzeln in den Hintern schieben!«, dröhnte das kleine Monster.
    »Oh, aber mein Freund Roman hat mir diese Lokalität als geradezu ideal zum Schachspiel empfohlen«, antwortete Jiri befremdet.
    »War se auch, bis dein Freund Roman mich anjesoffen jefragt hat, ob ich nicht als Könijin einspringen könnte, als er seinen zweiten Bauern durchjebracht hatte. Seitdem hat dein Freund Lokalverbot, und jeder, der hier Schach spielen will, fliescht raus!«
    In

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