Verkehrte Welt
leicht errötend, »aber um Wasser abzudrehen, braucht man ja wohl kein Studium, das kann doch jedes Kind.«
»Sie gefallen mir«, sagte Schwanke, »Sie sind gepflegt und denken praktisch, eine äußerst seltene Kombination bei Frauen.«
Er verschwand im Badezimmer, wo sie ihn Selbstgespräche führen und hantieren hörte, dann kehrte er zurück.
»Problem Nr.1 ist gelöst, junge Frau«, verkündete er, listig über seine Hornbrille blinzelnd, »wenden wir uns nun Ihrem Fall zu. Worum ging es da noch?«
»Feuer, Herr Schwanke!«
»Sehr gut, setzen«, sagte Schwanke, »das sehe ich mir jetzt sofort an, und Sie bleiben sicherheitshalber hier.«
So viel Anerkennung für ihre rasche Auffassungsgabe wie in den letzten zwei Minuten hatte Angie während ihrer ganzen Schulzeit nicht bekommen. Sie stellte sich gerade vor, wie sie sich als frisch gekürte Doktorandin mit dem ulkigen Hut souverän lächelnd den Fotografen präsentieren würde, da kehrte Schwanke schon zurück.
»Das Feuer ist so gut wie besiegt!«, rief er stolz.
»Und was haben Sie unternommen?«, fragte Angie bänglich.
»Dasselbe, was die Firefighters bei großen Buschbränden in Kalifornien oder im Mittelmeerraum tun, ich habe ein Gegenfeuer gelegt, und nun treibt es mithilfe Ihres Ventilators auf das alte Feuer zu, wenn sie sich treffen, stellen beide Feuersbrünste fest, dass sie keine Nahrung mehr haben, und gehen kläglich aus. Genial, was?«
»Ganz toll, Herr Schwanke, aber warum kommt jetzt Schaum aus der Tür durch?«
»Schätze, Ihre Sprinkleranlage hat sich in Betrieb gesetzt.«
»Ach, so was hab ich, ist ja super«, lachte Angie erleichtert und war stolz, technisch auf dem neuesten Stand zu sein. »Wusste gar nicht, dass da Schaum rauskommt.«
»Im Normalfall kommt da auch nur Wasser raus«, dozierte Schwanke und nahm erneut seine Kriegsfilmpose ein, »deshalb ziehe ich eine chemische Kettenreaktion in Betracht. Lagern Sie etwa seifenhaltige Produkte in Ihrem Studio?«, fragte Schwanke streng.
»Ja, natürlich, jede Menge flüssige Seife, Badekugeln, Badepralinen und Badebomben.«
»Geil!«, entfuhr es Schwanke, als ihn der glitzernde Bläschenberg erreichte und langsam umschloss, »was halten Sie von einer Schaumparty?«
Er drückte auf eine Fernbedienung, und Ravels »Bolero« erklang. Der Senior begann sich sichtlich erregt zügig zu entkleiden.
In diesem Moment unterbrachen kollektives Murren und einzelne »Aufhören!«-Rufe die Vorleserin.
Sie fragte irritiert: »Was ist denn los? Gefällt Ihnen die Geschichte nicht?«
»Wir lassen uns doch nicht als lüsterne Volldeppen darstellen«, rief ein rüstiger Bewohner des Seniorenheims ›Ruhige Kugek‹ »Genau, so ein Schwachsinn!«, keifte eine entrüstete Greisin, wobei die Tatsache, dass sie ihre Zahnprothese vergessen hatte, der Verständlichkeit ihrer Einlassungen nicht eben in die Hände spielte. »So einen unrealistischen Scheiß können Sie vielleicht in der Klapse vorlesen oder im Fernsehen!«
Die junge Hobbydichterin, die einmal im Monat ehrenamtlich aus eigenen Werken vortrug, lief feuerrot an. »Ich finde Sie echt undankbar und unsensibel!«, sagte sie und brach lautstark in Tränen aus. Im Zuge des nun ausbrechenden tumultuösen Disputs zwischen Fürsprechern und Gegnern der entnervten Künstlerin, wobei nicht klar auszumachen war, aus welchem Lager die »Ausziehen, ausziehen«- Rufe kamen, blieben die aus Zimmer 15 dringenden Rauchschwaden ebenso unbemerkt wie das die Treppe vom ersten Stock herabfließende Wasser.
Dieses eBook wurde von der Plattform libreka! für Leipzig 2011 mit der Transaktion-ID 1075178 erstellt.
BUFFET-BLUFFER
Dörte hatte nur ungern die Werkzeuge vom Tisch geräumt und ihre Kawasaki aus der Küche geschoben, um Tellern und Besteck Platz für das Extrem-Eating mit ihren Freunden zu verschaffen, aber nachdem nun alle vier sich satt grunzend über den Tisch hinweg angrienten, war die Mühe schon vergessen, und sie freute sich auf den Höhepunkt des Abends. Sie hatten vereinbart, erst nach dem Essen bekannt zu geben, woraus das Menü, für das jeder einen Gang zubereitet hatte, im Einzelnen nun wirklich bestand. Nur einer konnte Tagessieger werden. Sie trafen sich schließlich nicht einmal monatlich, um öden Kleinbürgersmalltalk um ein paar Nudeln herum zu führen, sondern um kulinarische Grenzen auszuloten. »Fang du an«, forderte sie Gitta aus der Gothic-Szene auf, die zum Auftakt einen Keimsalat mit Kaviar aufgetischt hatte.
»Okay,
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