Verleumdung
der Schuss an der Schläfe getroffen hatte. Er eilte zu ihr und tastete nach ihrem Puls. Dann fiel sein Blick auf die Pistole am Boden.
Er stieß sie mit dem Fuß außer Reichweite. Dann drehte er Alexandra auf die Seite. Blut sickerte aus ihrem Mund, und er wusste nicht, wie er ihr helfen konnte. Mit Mühe und Not befreite er sie von dem Arm, der über ihr hing. Er gehörte der Frau, die unter Alexandra lag. Er erstarrte, und sein Mund wurde trocken. Doch dann begriff er, dass es nicht Linnea war.
Die Frau hatte asiatische Gesichtszüge, soweit er es erkennen konnte, denn auch sie war blutverschmiert. Konnte das etwa doch die Heckenschützin sein, deren DNA man gefunden hatte, obwohl Lenny Strange von der Botschaft gesagt hatte, sie sei seit mehreren Jahren tot? Ob das Blut in ihrem Gesicht ihr eigenes war oder Alexandras, war nicht zu sagen. Dann bemerkte er, dass an der Seite etwas aus ihr herausragte. Der Schaft eines Messers. Er wagte es nicht, das Messer herauszuziehen, weil er fürchtete, dass es ihre Lungen verletzt haben könnte.
Er trat ein paar Schritte zurück und forderte per Handy einen weiteren Krankenwagen an. Anschließend beugte er sich erneut über Alexandra. Er musste versuchen, ihre Blutungen zu stoppen. Doch im dem Moment nahm er einen unterdrückten Schrei wahr.
Er richtete sich auf, atmete tief ein und hob erneut seine Pistole. Doch nichts war zu sehen. Und es war auch wieder ganz still.
Er ging hastig zu der auf dem Boden liegenden Pistole und hob sie auf. Er steckte sie ein und eilte den Gang entlang in die Richtung, aus der er den Schrei gehört zu haben glaubte. Als er die nächste Tür erreichte, konnte er sehen, dass jemand, mit dem Rücken zu ihm, in dem Raum dahinter lag. Mit einer schwarzen Stofftasche über dem Kopf. Linnea!
»Linnea, ich bin es«, rief er. »Thor!«
Er bemerkte, dass ihre Hände nicht gefesselt waren und im selben Moment eine Spraydose auf den Betonboden fallen ließen.
Thor beugte sich zu ihr und befreite sie von der Stofftasche. Linneas Augenhöhlen waren rot von dem geronnenen Blut, das von ihrer Schläfe nach unten gelaufen war. Sie öffnete die Augen, sah ihn dankbar an und sagte: »Jetzt würde ich eigentlich doch gern ins Krankenhaus.«
57
D er Lärm der großen Rotoren übertönte alles. Linnea konnte sehen, wie der Narkosearzt in der Kabine damit beschäftigt war, Lex zu versorgen, und wie der Helikopter dann langsam vom Refshalevej abhob. Der Narkosearzt hatte Linnea erklärt, dass der Hubschrauber sehr schnell flog und sie spätestens in fünf Minuten auf dem Dach des Rigshospitals landen würden. Und in einer Viertelstunde würden sie Lex in der Notaufnahme der Akutstation weiterbehandeln können.
»Wie stehen ihre Chancen?«
»Besser, als wenn sie auf einen normalen Krankenwagen warten müsste.«
Nun schaute Linnea dem roten Helikopter hinterher, der am Himmel über ihr immer kleiner wurde. Wenn Lex ihren massiven Blutverlust als Folge der Schussverletzung überlebte, hatte sie das nur Thors Geistesgegenwart und dem Hubschrauber der Kopenhagener Klinikvereinigung zu verdanken. Der Arzt hatte bereits vor Ort ihre Blutungen gestoppt, und im Helikopter konnte die Erstversorgung weitergeführt werden, bis sie im Krankenhaus ankam.
Linnea wandte sich Thor zu und fasste sich an den Kopf, den der Arzt notdürftig verbunden hatte. Sie war dankbar, ihn zu sehen. Nicht allein, weil er sie gerettet hatte, sondern auch, weil sie ihn vermisst hatte.
»Wer ist die andere Frau?«, fragte sie dann. »Sie muss Lex hierher gefolgt sein. Der Überfall auf mich war eine Verwechslung. Meinst du nicht?«
»Ich habe wirklich keine Ahnung.«
Thor seufzte, und ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. Er streckte die Arme aus, umarmte Linnea und sah sie mit einem zärtlichen Blick an.
»Sie hatte einen Pass bei sich, der auf den Namen Stacey Kim ausgestellt ist. Aber ihr DNA-Profil entspricht dem einer verstorbenen amerikanischen Heckenschützin namens Peggy-Lee Wu.«
Linnea erzählte ihm, dass der Arzt die Frau kurz untersucht hatte und dass sie aufgrund ihrer Stichverletzungen zwar viel Blut verloren, aber im Gegensatz zu Lex ziemlich gute Überlebenschancen hatte. Erst bei einer gründlicheren Untersuchung würde man feststellen können, ob lebenswichtige Organe verletzt worden waren, aber ihr Zustand wirkte stabil.
Thor zuckte mit den Schultern.
»Ich vermute, dass sie eine Art Auftragskillerin ist«, sagte er dann. »Vielleicht wurde sie von
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