Verliebt, verlobt - verrueckt
vorhersagen, trotzdem waren die Ãbereinstimmungen manchmal verblüffend. Es entstanden magische Momente, in denen wir in den Gedanken des anderen lasen wie in einem offenen Buch. Wir haben bald nicht mehr versucht, das zu erklären, und es einfach hingenommen, als einen Aspekt unserer Verbindung.
Ein anderes Geheimnis hat sich kürzlich aufgeklärt. Uns war immer wieder aufgefallen, dass wir auch als Paar relativ mühelos mit unserer Umgebung kommunizieren. Wir hatten nur nicht genau begriffen, nach welchem Prinzip die Arbeitsteilung bei uns so gut funktioniert. Dann belegten wir bei einem Aufenthalt in Buenos Aires einen dreiwöchigen Intensivkurs Spanisch. In einer Gruppe mit lauter jungen Leuten fiel uns die Rolle der Seniorenstreber zu, die wir bereitwillig annahmen. Da es in jeder Klasse aber nur einen Besten geben kann, und wir beide kompetitiv veranlagt sind, kam es zwischen Amelie und mir zum sportlichen Zweikampf. Ich muss zugeben, dass sie mir bald die Show stahl und mit unserem Lehrer parlierte, als habe sie in einem früheren Leben Spanisch gesprochen. Aber dann kam mein groÃer Auftrittâ ein Test, bei dem wir unser Hörverständnis beweisen sollten. Gegenstand war eine Radioreportage. Schon nach wenigen Sätzen war die Klasse überfordert und begann wegen der schnellen und verschliffenen Sprache zu stöhnen. Einer nach dem anderen stieg aus, zuletzt auch Amelie. Ich hingegen hatte wenig Mühe, dem Reporter zu folgen. Und da wurde uns klar: Amelie ist der Mund, ich das Ohr.
Auch in den Tagen danach, wenn wir jemanden auf der StraÃe um Auskunft baten, fiel uns auf, dass Amelie ganz selbstverständlich fragte, und ich ihr die Antwort übersetzte. Das funktionierte wunderbar. Trotzdem haben wir, zurück in Deutschland, beschlossen, die Rollen immer wieder mal zu tauschen, damit am Ende vor lauter Arbeitsteilung nicht einer stumm und die andere taub wird.
Vor einem der irritierendsten Geheimnisse standen wir vor einigen Jahren, als wir das Schicksal des jüdischen Teils von Amelies Familie recherchierten. Anhand verschiedener Melderegister rekonstruierten wir den Lebensweg ihres GroÃvater Franz Fried. Geboren im galizischen Zolynia, war er über Wien, Augsburg, Berlin und Aschersleben nach Ulm gekommen und dort sesshaft geworden. Mit seiner protestantischen Frau und seinen beiden Kindern hatte er zu den angesehensten Bürgern der Stadt gehört. Dann kamen die Nazis an die Macht, terrorisierten ihn und wiesen ihn schlieÃlich in ein KZ bei Stuttgart ein. Damit erzwangen sie, dass er seine Heimatstadt verlieà und von München aus seine Auswanderung betrieb. Doch kein Land gab ihm ein Visum, er war als Arbeitskraft zu alt. Auf Franz Frieds Münchner Meldekarte sind zwischen 1939 und 1945 sechs Adressen verzeichnet, darunter die einer Massenunterkunft für Juden, von der aus sein Bruder und seine Schwägerin nach Auschwitz deportiert wurden. Er selbst blieb wie durch ein Wunder verschont und kam im letzten Kriegsjahr im Stadtteil Lehel unter. Seine Adresse lautete: KnöbelstraÃe 18 . Als ich das las, traute ich meinen Augen nicht: In der kleinen, engen StraÃe lebte zur selben Zeit schräg gegenüber die Familie Probst, meine GroÃeltern, meine Tanten und mein Vater!
Ich habe nie herausgefunden, ob sich Franz Fried und meine Familie kennengelernt oder sogar während der Bombardierungen gemeinsam im Luftschutzkeller gesessen haben. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich zumindest auf der StraÃe grüÃten, wie man das damals in München noch tat, ist groÃ. Wenn ich an diese Geschichte denke, habe ich das Gefühl, dass die Wurzeln unserer Verbindung in tiefere Zeitschichten reichen. Es ist, als hätte das Schicksal es schon mal probiert mit den Frieds und den Probsts und den Versuch dann auf zwei Generationen später vertagt. Franz Fried wurde am 1 .Mai 1945 von den Amerikanern befreit und gehörte zu den wenigen Juden, die in München überlebt haben. Er ist nie mehr in die KnöbelstraÃe zurückgekehrt, aber seine Enkelin Amelie hat am 13 .September 1989 kaum einen Kilometer davon entfernt den Enkel der Nachbarn von gegenüber kennengelernt.
Bild 27
»Das gemeinsame Glück zweier Menschen ist nichts anderes als zwei kleine, nebeneinander geritzte Striche in die Unendlichkeit.«
Robert Musil
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