Verliebt, verlobt - verrueckt
habe ich angefangen, bei Lufthansa zu arbeiten, Holger hat nach Bremen gewechselt und sein Studium abgeschlossen. Damals musste man verheiratet sein, damit der Partner auch günstig fliegen kann, also haben wir geheiratet. Mit 23 wurde ich schwanger, das war nicht so richtig geplant. Eigentlich fühlten wir uns beide noch ein bisschen zu jung, um Eltern zu sein. Wir sind dann mit unserem Nick durch die Welt gereist, später haben wir unsere Wohnung umgebaut, aber erst mit Anfang 30 fühlte ich mich reif für ein zweites Kind. Als ich 37 war, bekamen wir Oona. Dieses zweite Kind hat uns noch mal näher zueinander gebracht.
Es gibt da etwas Merkwürdiges. Meine Mutter ist Witwe geworden, als ich noch nicht geboren war. Und es war fast so, als hätte sie mich auf so was vorbereitet. Ich habe ja gesehen wie es ist, ohne Vater und mit einer ziemlich starken Mutter groà zu werden, das war für mich nichts Neues. Dieses Gefühl zu haben, der ist nicht für mich da. Darunter habe ich schon ziemlich gelitten. Als ich schwanger mit Oona wurde, und auch später, als sie schon gröÃer war, habe ich immer wieder gedacht, hoffentlich habe ich nicht das gleiche Schicksal wie meine Mutter. Und dann war es plötzlich so weit.
Die Polizei wollte, dass ich zur Hauptwache in der Vahr komme, um Holger zu identifizieren, aber ich habe mich geweigert. Die Pathologie, in der Holger lag, ist nicht weit von uns entfernt. Dann sagte der Beamte, wir schicken jemanden mit einem Bild. Und dann sind die gekommen, und Lutz hat ihn identifiziert. Ich fand es ganz lieb, dass er das für mich gemacht hat. Das Bild muss furchtbar gewesen sein.
Abends rief dann der Pathologe an und hat mich gefragt, ob ich die Hornhaut von Holgers Augen zum Transplantieren zur Verfügung stellen würde. Ich habe kurz überlegt und gesagt: Ja, natürlich. Irgendjemand hat mir später erzählt, er würde einen kennen, der am nächsten Tag an den Augen operiert worden sei, dem eine neue Hornhaut eingesetzt wurde. Und da habe ich gedacht, das ist sicher die von Holger. Das ist doch wunderbar.
Es war dann auch eindeutig geklärt, woran er gestorben ist: Er hatte beim Laufen eine Lungenembolie, und das geht so schnell, wahrscheinlich war er tot, bevor er auf dem Boden aufgekommen ist.
Wir sind am nächsten Tag dort hingegangen und haben nachgesehen, wo es passiert ist. Das war nicht schwer zu finden, da lagen noch lauter Sachen am Boden, Plastikkappen und so was, von den Versuchen der Sanitäter, ihn zu reanimieren. Unser Hund war auch dabei, und der wollte da nicht weg. Der hat das gerochen. Auch Tage später wollte er immer wieder dorthin. Ich bin erst mal nicht mehr hingegangen. Ich habe es nicht ertragen.
Es ist hier ganz in der Nähe passiert, am Weser-Stadion bei Platz 11 , wo die Spieler von Werder trainieren. Holger war ja ein groÃer Werder-Fan. 2004 , ein Jahr nach seinem Tod, hat Werder die Meisterschaft gewonnen. Bei diesem Spiel war ich mit Holgers bestem Freund. Und als die Jungs da einliefen, da haben wir beide geheult wie die Schlosshunde.
Holger lag also in der Pathologie und wurde nicht freigegeben. Die Todesursache war zwar geklärt, aber die arbeiten am Sonntag nicht, Montag hatten sie irgendeine Sitzung. Und dann sagte ich: Jetzt reichtâs mir. Ich wollte, dass er da rauskommt, und ich wollte ihn noch mal sehen. Ich habe dann ein Beerdigungsinstitut beauftragt, ihn aufzubahren, und am Dienstag konnten wir ihn endlich sehen.
Am Freitag war dann die Beerdigung und das war â¦einfach unglaublich. So was hatte ich noch nicht erlebt. Ein Freund von ihm hat so eine herzzerreiÃende Rede gehalten und erzählt, was sie gemeinsam erlebt haben, ein anderer Freund hat Holgers Leben Revue passieren lassen, und ein anderer hat noch mal seinen letzten Tag erzählt. Unser Nachbar, der Pastor, hatte sich bereit erklärt, die Beerdigung durchzuführen, obwohl Holger nicht mehr in der Kirche gewesen war. Der sprach auch ganz wunderbar. Also, es war sehr, sehr â¦einfach unglaublich.
Komischerweise war ich total gefasst. Ich hatte nicht geschlafen, aber auch keinerlei Medikamente genommen, keine Beruhigungsmittel, keine Aufputschmittel oder sonst irgendwasâ und ich war so was von klar! Ich habe ein sehr schlechtes Namensgedächtnis, aber an diesem Tag in der Kirche hätte ich jeden einzelnen Namen von den Trauergästen nennen können. Und ich habe die Leute fast noch
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