Verlogene Schoenheit - Vom falschen Glanz und eitlen Wahn
Räder. Brust raus, Bauch rein, was einigen die Luft nimmt. Macht nichts, es zählt die nonverbale Kommunikation, der Schein, im besten Fall: der Flirt ohne Worte. Der Körper sagt ihm, was zu tun ist. Aufplustern! Kraft heucheln! Eindruck schinden! Aus putzigen Goldhamstern werden schlagartig Alphatiere, mit Stahlblick und vorgerecktem Kinn wie weiland John Wayne in »Rio Bravo«. Diese Balz und Demonstration von Körpersprache ist tagtäglich an allen einschlägigen Orten zu beobachten. »Mann« kann gar nicht anders. Sein Körper reagiert auf Augenreize und stellt sich auf, längst bevor die grauen Hirnzellen einen einigermaßen originellen Anmachspruch ersonnen haben. Diese unwillkürlichen Reflexe betonen (eher selten) einen körperlichen Vorteil – und sie kaschieren Schwachstellen, was meistens der Fall ist. Das heißt: Mann verschönert sich; er macht sich besser, als er in Wahrheit ist. Er wirbt für sich. Er hilft der Natur nach.
»So ein Mann, so ein Mann«, sang die Chansonette und ehemalige Ballerina Margot Werner, »zieht mich unwahrscheinlich an. Dieser Wuchs, diese Kraft weckt in mir die Leidenschaft.« Es sind immer noch die äußerlichen Dinge, auf die es ankommt. Dieser Wuchs, diese Kraft! Damit zeigt Mann, dass er ein Mann ist. Ob in echt oder nachgeholfen. Ich sage Ihnen: Den wahren Adonis, der mit allen Anlagen zu Körpergröße und Muskelbildung von der Natur gesegnet ist, gibt es nicht oder nur sehr, sehr selten. Es wird entsprechend nachgebessert, in endlos mühseligen Trainingsstunden
in Fitness-Studios und mit selbstmörderischen Dosen von anabolen Steroiden, übrigens ein Milliardengeschäft. All das haben Millionen von Männern auf sich genommen, um auszusehen wie die Muskelheroen Arnold Schwarzenegger oder Ralph Möller, die in Hollywood Karriere machten. Ob das wirklich schön aussieht, steht auf einem anderen Blatt. Doch wenn einer Triefaugen von unterschiedlicher Größe und einen Höckerzinken hat, helfen ihm weder härtestes Training noch die stärkste Anabolika weiter. Dann kommt er zu mir oder einem meiner Kollegen.
Nun haben also auch die Männer die Möglichkeiten des medizinischen Schönheitstunings entdeckt. Und wie! 1990 betrug der Männeranteil bei Schönheitsoperationen lediglich 4,9 Prozent. Im Jahr 2000 waren es bereits 10 Prozent und 2008 satte 20 Prozent. Das heißt: Jeder fünfte Mann wünscht sich eine Schönheits-OP; in absoluten Zahlen: 2008 hatten wir in Deutschland eine Million Schönheitsoperationen, dabei legten sich rund 200 000 Männer unters Messer; die ästhetische Chirurgie ist also längst keine Frauensache mehr.
Wie aus Silvio Berlusconi über Nacht ein jugendlich strahlender Mann wurde
Es ist nicht ausschließlich pure Eitelkeit, die das sogenannte starke Geschlecht zum Chirurgen treibt (wobei es häufig Getriebene sind). Männer versprechen sich von einem jüngeren, dynamischen Aussehen in erster Linie mehr Erfolg im Berufsleben. Von den Führungskräften mit einem Jahressalär von über 100 000 Euro glauben laut einer Studie der Universität Hamburg (Prof. Sonja Bischoff) sogar 46 Prozent, dass die äußere Erscheinung entscheidend für die Karriere sei (bei den entsprechenden Frauen glauben das übrigens nur 29 Prozent). Wohlgemerkt: Die Rede ist von deutschen Männern. Bei Südländern, speziell Spaniern und Italienern, ist das Streben nach bella figura noch viel ausgeprägter. Hier ging Italiens Obermacho Silvio Berlusconi mit weithin leuchtendem Beispiel voran. Dass er für einen Jahrgang 1936 ungewöhnlich gut, dynamisch und
jugendlich aussieht, hat allerdings nicht nur mit seinen Genen zu tun.
Ende 2003 war er für vier Wochen auf Tauchstation, wie es eine Zeitung formulierte. Aus diesem Urlaub kehrte ein gut gelaunter und erholter Berlusconi nach Rom zurück, ganz offensichtlich hatte er in einem Jungbrunnen gebadet: über zehn Kilo leichter, die Tränensäcke weg, die Augenfältchen fast auch, Stirn, Gesicht und Hals waren straff, und auf seinem Haupt durften wir das zarte Wunder einer Haarvermehrung bewundern.
»Wie viele Falten doch verschwunden sind«, staunte die Zeitung »Corriere della Sera«. Die römische »La Repubblica« beobachtete: »Er fixiert sein Gegenüber ohne Lächeln. Vielleicht kann er das noch nicht.« Und die »New York Times« spottete, dass der Selfmademan Berlusconi zum remade-man mutiert sei. Er selbst sagte vieldeutig: »Ich habe einen Schnitt gemacht.« Aber nein, er persönlich sei überhaupt nicht eitel, er
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