Verloren
lebt anstatt hier zwischen all den Erinnerungen. Deshalb bin ich so froh, dass er sich entschieden hat, es zu wagen und dieses Haus und alles, was darin ist, zu verkaufen. Aber er hadert noch damit. Und außerdem …« Sie zögert, beendet ihren Satz nicht. »Ach, nichts. Auf jeden Fall ist es gut, wenn Sie ihn bei der Abwicklung unterstützen.«
»Das tue ich gern«, versichere ich ihr und blicke zu den Bildern hoch, die über uns die Wände schmücken und unter denen ich wieder einige ungewöhnliche Raritäten entdecke. »Ich kann verstehen, dass es Signore di Chessa schwerfällt, sich von diesen schönen Werken zu trennen. Seine Sammlung scheint wirklich etwas Besonderes zu sein.«
Signora Bertani folgt lächelnd meinem Blick. »Ja, das ist sie. Die Prachtstücke haben Sie bestimmt schon entdeckt, nicht wahr?«
Ich schüttele den Kopf und ärgere mich wieder darüber, dass ich nach dem Vorfall auf der Treppe so viele Gedanken an den mysteriösen Matteo verschwendet habe. Ich hätte meine Konzentration wirklich für andere Dinge gebraucht.
»Ich bin leider noch nicht dazu gekommen, mir alles genauer anzusehen.« Entschuldigend zucke ich mit den Schultern. »Ein Gemälde im Treppenhaus ist mir allerdings schon aufgefallen, das ich besonders interessant fand. Ich glaube, es ist von Joseph Severn …«
»Das ist es in der Tat«, sagt ein Mann mit schlohweißen Haaren, der plötzlich vor dem Sofa steht. Er ist klein und ziemlich hager, hat eingefallene Wangen und sehr viele Falten. Seine Augen blicken freundlich, aber auch ein bisschen müde, und es liegt eine Traurigkeit in seinem Blick, die selbst sein Lächeln nicht überdecken kann.
Schon eine Sekunde bevor Valentina »Giacomo!«, ruft, begreife ich, dass unser Gastgeber zurückgekehrt ist, und springe sofort von dem kleinen Sofa auf. Schließlich war das sein Platz.
»Vielen Dank«, sagt er, als ich zur Seite trete, und lässt sich, sichtlich dankbar, nicht mehr stehen zu müssen, wieder zurück auf die Polster sinken. Er sieht älter aus, als er ist, denke ich bestürzt. Ich weiß, dass er erst Mitte sechzig sein kann, da er gerade pensioniert wurde, doch schätzen würde ich ihn auf Mitte siebzig. Sein angeschlagener Zustand ist ihm sichtlich unangenehm. »Entschuldigen Sie, ich bin im Moment leider ein bisschen schwach auf den Beinen, ich hoffe, das gibt sich bald wieder«, sagt er zerknirscht.
Andrew, der Giacomo di Chessas Rückkehr auch bemerkt hat, verabschiedet sich schnell von dem Mann, mit dem er die ganze Zeit über im Gespräch war, und stellt sich wieder zu uns.
»Giacomo, darf ich vorstellen – das ist Sophie Conroy, von der ich Ihnen schon so viel erzählt habe«, sagt er und deutet auf mich.
Ich schlucke kurz, weil ich weiß, dass viel davon abhängt, wie ich mich in den nächsten Minuten schlage.
»Freut mich sehr, Signore di Chessa«, sage ich und strecke ihm lächelnd die Hand hin.
»Ah, die junge Dame aus London.« Für jemanden, der so fragil wirkt, ist sein Händedruck erstaunlich fest, und auch sein Blick ist jetzt sehr viel wacher und ganz auf mich konzentriert. Er mustert mich einen langen Augenblick, und ich fange gerade an, nervös zu werden, als ein breites Lächeln auf seinem Gesicht erscheint.
»Sie verstehen wirklich etwas von Kunst, wenn Ihnen das Severn-Bild sofort aufgefallen ist. Für eine so schnelle Zuordnung braucht es ein gutes Auge.« Sein Kompliment freut mich, und ich will etwas erwidern, doch er kommt mir zuvor. »Allerdings muss ich Sie enttäuschen, falls Sie daran Interesse hatten. Das Gemälde gehört nicht mehr zu den Dingen, die ich versteigern lassen will«, fügt er bedauernd hinzu.
Verdutzt sehe ich ihn an. »Warum nicht?«
»Weil Giacomo es mir gerade verkauft hat«, sagt eine dunkle Stimme und lässt mich erschrocken herumfahren.
3
Der große dunkelblonde Mann steht hinter mir, ziemlich dicht sogar, und sieht mit seinen schönen Bernsteinaugen auf mich herunter, was mein Herz kurz aus dem Tritt kommen lässt.
»Oh«, stoße ich hervor, weil ich so überrascht bin, fange mich dann aber sofort wieder. »Wie … schade.«
Die Gedanken in meinem Kopf fallen hektisch übereinander und lassen mir keine Zeit, sie zu ordnen. Er sieht so verdammt gut aus! Vergiss das, Sophie, sofort! Wieso spricht er plötzlich doch mit mir – ich dachte, ich wäre seine persönliche Persona non grata? Wer ist er überhaupt und ist es Zufall, dass er ausgerechnet das Bild gekauft hat, über das wir vorhin auf der
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