Verlorene Liebe
nicht sein!« Claire klang, als würde sie jeden Moment in Hysterie ausbrechen. »Jerald nimmt keine Drogen. Dafür ist er ein viel zu gewissenhafter Junge.«
»Tut mir leid.« Ben betrachtete die Computeranlage, die fast die ganze Schreibtischplatte beanspruchte, und wandte sich dann an seinen Partner. Wie Billings vermutet hatte, verfügte Jerald über die beste und modernste Ausrüstung. »Er ist nicht im Haus.«
Während Claire im Zimmer ihres Sohnes schluchzte, stieg Jerald über den Zaun, der Eds Grundstück von Kathleens trennte. In seinem ganzen Leben hatte er sich noch nie besser gefühlt. Das Blut rauschte in den Adern, und das Herz schlug wie rasend. Desiree wartete auf ihn, um ihn über den Tod hinaus in die Ewigkeit zu führen.
Renockie trank im Wohnzimmer Kaffee, während Grace mit ihrer Tasse spielte und immer wieder auf die Uhr schaute. Wo blieb Ed nur? Warum hatte er noch nicht angerufen?
»Ich glaube, man könnte sagen, daß ich ein großer Fan von Ihnen bin, Miß McCabe.«
»Das ist sehr freundlich von Ihnen, Detective.«
»Ich wollte lieber warten, bis Lowenstein nach draußen zu Billings gegangen war, um Ihnen mitzuteilen, daß ich selbst auch schriftstellerisch tätig bin. Natürlich nur als Amateur.«
Wer auf der großen weiten Welt hatte sich noch nicht auf diesem Gebiet versucht? dachte sie und zwang sich dann zu einem Lächeln. Es gehörte nicht zu ihrer Art, unfreundlich zu reagieren. »Tatsächlich? Verfassen Sie am Ende auch Kriminalromane?«
»Eigentlich nur Kurzgeschichten.« Sein breites, freundliches Gesicht lief rot an. »Wissen Sie, man verbringt eine Menge Zeit im Wagen. Herumsitzen und warten – das macht den Großteil meines Dienstes aus. Da hat man viel Zeit, um sich Gedanken zu machen.«
»Vielleicht sollten Sie mir einmal ein paar Ihrer Werke zeigen.«
»Ich möchte mich Ihnen wirklich nicht aufdrängen.«
»Ich würde sie aber gerne sehen. Warum kommen Sie nicht …« Sie schwieg abrupt, als sie sah, wie sich sein Gesichtsausdruck veränderte. Auch sie hatte das leise Geräusch gehört. So, als wenn jemand vorsichtig eine Tür geöffnet hätte.
»Warum gehen Sie nicht nach oben und stellen fest, ob alle Fenster geschlossen sind.« Der Detective zog seine Waffe und legte ihr die freie Hand auf den Arm. »Sicherheitshalber.«
Grace setzte sich sofort und ohne Widerspruch in Bewegung. Renockie hielt den Revolver jetzt mit beiden Händen und drehte sich langsam um die eigene Achse.
Im Schlafzimmer stellte sich Grace mit dem Rücken an die Tür, wartete und lauschte gespannt. Wahrscheinlich etwas ganz Harmloses. Warum auch nicht? Ed hatte den Jungen bestimmt schon längst festgenommen, und jeden Moment würde er sie anrufen.
Dann knarrte ein Dielenbrett, und Grace zuckte zusammen. Sofort trat ihr der Schweiß auf die Stirn. Führ dich nicht wie eine Närrin auf, ermahnte sie sich. Das konnte nur das hoffnungsvolle Nachwuchstalent sein, das ihr mitteilen wollte, alles sei in Ordnung.
»Desiree?«
Das Flüstern trocknete allen Schweiß in ihrem Gesicht. Sie roch und schmeckte Furcht, die sie nicht hinunterschlucken konnte. Der Türknauf drehte sich erst nach links und dann nach rechts.
»Desiree …«
Gefangen. In der Falle. Grace konnte an nichts anderes mehr denken. Sie war hier allein, und vor der Tür stand der Mann, der gekommen war, sie zu ermorden. Grace preßte beide Hände vor den Mund, um den Schrei zu ersticken. Warum war sie nur in diese Lage geraten, wo sie doch genau gespürt hatte, daß er sie aufsuchen würde? Aber halt, so ganz hilflos war sie nun doch nicht. Grace versuchte noch mit ungelenken Fingern die Schublade aufzuziehen, in der sich die Pistole befand, als die Tür aufging.
Er ist ja wirklich noch ein halbes Kind, dachte sie, als er vor ihr stand. Wie konnte so ein Junge, dem noch Pickel auf dem Kinn sprossen, ihre Schwester umgebracht haben? Aber dann blickte sie in seine Augen und erfuhr dort den Grund.
»Desiree, du wußtest, daß ich zurückkehren werde.«
»Ich bin nicht Desiree.« Er hatte ebenfalls eine Pistole. Grace blieb fast das Herz stehen, als sie die Waffe in seiner Rechten entdeckte – und dann das Blut an seinem Handgelenk. Und was war das in seiner Linken? Ein Strauß rosafarbener Nelken.
»Es spielt überhaupt keine Rolle, wie du dich jetzt nennst. Du bist zurückgekommen und hast mich angerufen.«
»Stehenbleiben.« Sie zielte mit der Pistole auf ihn, als er einen Schritt auf sie zu machte. »Kommen Sie mir
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