Vermächtnis des Pharao
Für Huy, den Schreiber, begannen mit dem Tod König Echnatons schwierige Zeiten. Die Anhänger des reformistischen Pharao, die sich seiner visionären Philosophie verschrieben hatten (was unter anderem bedeutete, alle alten Götter hinauszuwerfen und durch einen einzigen zu ersetzen: durch Aton), sahen sich von Enteignung, ja, vom Tod durch die Hand derer bedroht, die die ehemalige Glorie Ägyptens wiederherstellen wollten. Die kurze Regentschaft der drei Könige, die ihm folgten - und von denen Tutenchamun noch am längsten herrschte -, waren von Unsicherheit überschattet, denn Haremheb, ehemals Echnatons Oberkommandierender, der indes selbst mit dem Pharaonenthron liebäugelte, setzte seine Geheimpolizei, die gefürchteten Medjays, ein, um jegliche Opposition auszumerzen, die echte wie die vermutete.
Vor diesem Hintergrund begegnen wir Huy. Er hat keine Stellung (Schreiber unter Echnaton gewesen zu sein, ist eigentlich per definitionem subversiv), und er fristet sein karges Dasein in der Stadt des Horizonts - der neuen Stadt, einhundert Meilen weit stromaufwärts von Theben gelegen, die jetzt verfällt und die Echnaton einst als seine neue Hauptstadt geplant hatte. Huy ist geschieden; sein ehemaliger Schwager, erheblich geschickter als er darin, auf der Seite derer zu sein, auf die es ankommt, hat für ihn nur höhnische Verachtung.
Die Aussichten sind düster. Eine Zufallsbegegnung mit Amotju, dem Eigentümer einer Schiffahrtsline und einem alten Freund, läßt sie noch düsterer werden. Amotju hat eine Mätresse, Mutnofret, eine Frau, für die man sterben möchte. Und genau das könnte passieren, denn Amotju teilt Mutnofret mit Rechmire, dem Wächter des Osiris-Tempels, mit dem nicht zu spaßen ist. Amotju ist offenbar zufällig einer Grabräuberbande auf die Spur gekommen und hat Todesdrohungen erhalten. Könnte Huy, den in Theben keiner kennt, vielleicht ein paar Ermittlungen in der Sache anstellen?
Und so beginnt die Karriere des ersten Privatdetektivs der Welt. Huy tappt in eine zunehmend gewalttätige und gefahrvolle Situation hinein und nimmt sich nur hin und wieder Zeit, um mit der entzückenden Aset, Amotjus Schwester, zu tändeln, derweil im seichten Wasser die Krokodile lauern...
Anmerkung des Autors
Der historische Hintergrund der folgenden Geschichte ist im Großen und Ganzen korrekt, aber die meisten Personen sind erfunden. Wir wissen eine Menge über das alte Ägypten, weil seine Bewohner hochentwickelte, schreibkundige Menschen mit einem Sinn für Geschichte waren. Dennoch schätzen Fachleute, daß in den zweihundert Jahren seit Beginn der ägyptologischen Wissenschaft nur fünfundzwanzig Prozent dessen, was es zu wissen gäbe, entdeckt worden sind, und noch immer ist man sich unter Gelehrten über bestimmte Daten und Ereignisse höchst uneinig. Gleichwohl entschuldige ich mich bei Ägyptologen und Puristen, die dieses Buch vielleicht lesen und an derart unwissenschaftlichem Verhalten Anstoß nehmen, für gelegentliche Freiheiten, die ich mir herausgenommen habe.
Anmerkungen zu Huys Ägypten
Die neun Regierungsjahre des jungen Pharao Tutenchamun - 1361 bis 1352 v. Chr. - waren unruhige Jahre für Ägypten. Sie lagen am Ende der achtzehnten Dynastie, der glorreichsten unter den insgesamt dreißig Dynastien des Reiches. Tutenchamuns Vorgänger waren hauptsächlich ruhmreiche Soldatenkönige gewesen, die ein neues Imperium geschaffen und das alte konsolidiert hatten, aber unmittelbar vor ihm hatte ein seltsamer, visionärer Pharao auf dem Thron gesessen: Echnaton. Er hatte all die alten Götter hinausgeworfen und sie durch den einen ersetzt, durch Aton, der sein Wesen im lebensspendenden Sonnenlicht hatte. Echnaton war der erste Philosoph der Welt, von dem wir wissen, und der Erfinder des Monotheismus. In den siebzehn Jahren seiner Herrschaft bewirkte er gewaltige Veränderungen im Denken und in der Führung seines Volkes; aber er verlor auch das gesamte Nordreich (das moderne Palästina und Syrien) und brachte sein Land an den Rand des Ruins. Nun bedrohten mächtige Feinde die Grenzen im Norden und im Osten.
Echnatons religiöse Reformen hatten Zweifel in die Herzen des Volkes getragen, nachdem viele Generationen lang unverrückbare Gewißheit geherrscht hatte, eine Gewißheit, die noch aus der Zeit des Pyramidenbaus tausend Jahre zuvor stammte; und obwohl das Reich Ägypten, das zur Zeit unserer Geschichte bereits mehr als tausendfünfhundert Jahre alt war, schon früher schlimme Zeiten
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