Vermächtnis des Pharao
wurde.
Bei seiner Träumerei merkte er nicht, wie leer die Straße war, obgleich das Matet -Boot der Sonne fast seinen höchsten Punkt erreicht hatte und es hier hätte wimmeln müssen von Leuten, die heimkehrten, um zu essen und den Nachmittag zu verdösen, bevor die Arbeit wieder anfinge. Er kam erst wieder zu sich, als er um die letzte Ecke vor seinem Haus bog; er sah, wie allein er war, und gleichzeitig fiel ihm ein Mann auf, der an dem schon von Blasen bedeckten Türrahmen aus Akazienholz lehnte. Er wußte sofort, was für ein Mann das war und überlegte kurz, ob sein Kommen wohl schon bemerkt worden war oder ob er sich noch verdrücken und irgendwo verstecken konnte. Aber der Mann starrte ihn bereits so absichtlich gelangweilt und unbeteiligt an, wie das Polizisten tun, wenn sie unangenehme Neuigkeiten zu überbringen haben. Ohnedies öffnete sich in der gewundenen Straße nirgends auch nur ein Gäßchen, in das er hätte schlüpfen können. Und warum sich gegen das Schicksal wehren? Die Sonne schien, und der Fluß floß. Was gab es mehr - letzten Endes?
Der Polizist – ein Medjay - war groß, älter als Huy, der klein und stämmig war. Er machte sich seine Körpergröße zunutze, als er sich jetzt träge vom Türpfosten löste, während Huy herankam. Aber da war keine Spur von der Ehrerbietung, die ein Medjay einem Hofschreiber gegenüber zu zeigen hatte. Die Medjays hatte man ursprünglich bei einem Nubier-Stamm rekrutiert, der gute Späher hervorbrachte und der Polizeitruppe ihren Namen gegeben hatte. Heutzutage kamen die Polizisten aus allen Bereichen der Gesellschaft. Dieser hier hatte die knochige Eckigkeit, die dunkle Haut und die flachen Gesichtszüge eines Mannes aus dem tiefen Süden - vielleicht aus Napata. Sein Gesicht war Huy irgendwie vertraut, aber er wußte es nicht unterzubringen. Er trug einen schlichten, hellbraunen Leinenkilt. Seine langen Gliedmaßen schimmerten in der Hitze. An seiner Hüfte hing ein Kupferschwert in einer Scheide aus Palmblättern. Kein Hochrangiger also, dachte Huy. Aber seine Anwesenheit erklärte, warum die Straße so leer war. In den wenigen Monaten seit Semenchkares Tod, während die meisten Leute zu sehr auf den Feldern beschäftigt gewesen waren, als daß sie hätten Notiz nehmen oder sich Sorgen machen können, war der General Haremheb nicht untätig gewesen. Mit der wachsenden Anzahl Menschen, die die Stadt des Horizonts verließen, schwoll auch der Strom der Gerüchte über die neuerliche Macht der Priester-Beamten in der Südlichen Hauptstadt. Es war wieder erlaubt, die Namen der alten Götter laut auszusprechen. Diejenigen, die Echnaton nahegestanden hatten, vertuschten dies, wenn sie konnten.
»Huy?«
»Ja.«
Es hatte keinen Sinn, das zu leugnen, und es hatte ebenso wenig Sinn, Aufmerksamkeit auf den unterlassenen Titel - Hofschreiber -und damit den Mangel an Höflichkeit zu lenken.
»Maiherpri, Feldwebel.« Wollte Huy seinen Namen in Erinnerung rufen. Schaute ihn einen Moment lang mit schüchterner Vertraulichkeit an - aber enttäuscht verschloß sich seine Miene wieder, als Huy nicht begriff.
Warum kam ihm das Gesicht vertraut vor? Aber war das wichtig?
»Willst du dich hier unterhalten oder drinnen?« fragte der Medjay.
»Du hättest drinnen warten können.«
»Nicht ohne Erlaubnis.«
Das war wenigstens etwas. Huy warf noch einmal einen Blick über die staubige Straße. In einiger Entfernung ragte der inzwischen verlassene königliche Palast empor wie ein Gebäude in einem Traum.
Huy schob den Riegel an seiner Haustür auf und betrat den kleinen Hof. Maiherpri folgte ihm und schaute sich um. Er sah ein säuberliches Geviert unter freiem Himmel, teilweise überschattet von einer müden Weinranke.
»Du wohnst hier allein?«
»Ja.« Seit der Scheidung von Aahmes gab es keine Hausmagd mehr. Hapu war mit Aahmes fortgegangen; hier war nicht einmal für ein syrisches Sklavenmädchen Platz.
Es war üblich, irgendeine Erfrischung anzubieten, selbst einem amtlichen Besuch. Maiherpri blieb stehen und wartete offensichtlich ab.
»Bier? Brot?« fragte Huy und wies auf einen niedrigen Schemel im Schatten.
Der Polizist setzte sich steif. Er hatte lange in der Sonne gewartet, aber trotz seiner Erleichterung wollte er sich nicht entspannen. Er war ein junger Mann, auf seine Würde bedacht; er spürte, daß er nicht willkommen war und schob seine Nachricht hinaus, um ihr mehr Gewicht zu geben. Jetzt fragte er sich, ob das Hinsetzen ihn nicht eines Vorteils
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