Vermählt mit einem Fremden
Unternehmen Erfolg gehabt hatte, war dennoch keine gemeinsame Zukunft denkbar. Unsicher tastete sie mit einer Fingerspitze über ihre Lippen. Spürte sie nicht noch seinen Kuss? Das war kein Traum gewesen. Trotzdem hatte er sie allein gelassen.
Mühsam setzte sie sich auf. Sie musste sich dem neuen Tag stellen. Da war noch das Rätsel um Marie-Claude. Und die endgültige Trennung von Luke Hallaston. Sie würde sich frisieren, ein elegantes Londoner Gewand anlegen und dann darangehen, unter dieses Intermezzo einen Schlussstrich zu ziehen.
Nach seinem Gespräch mit Wiggins blieb Lucius keine Zeit, sein Äußeres herzurichten, denn Adam bat ihn in die Bibliothek, wo schon das nächste Problem auf ihn wartete.
Die Dame dort wies mit dramatischer Geste auf das Kind, das, in eine Decke gehüllt, in Meggies Armen schlummerte, und rief: „Natürlich habe ich keine Beweise! Vermutlich halten Sie mich für eine Abenteuerin, für eine französische Hure, die nach einer wohlhabenden Zukunft für sich und ihren Bastard angelt!“
Dass waren deutliche Worte. Dass diese hübsche Französin all seine Zweifel in so brutal offene Worte kleidete, kam unerwartet. Zierlich, adrett, ein wenig kindlich, wie sie war, vergaß er doch ihre Zerbrechlichkeit, als sie so entschlossen ihren Fall darlegte, und zwar in viel besserem Englisch, als er vermutet hätte. Im Gegensatz zur vergangenen Nacht, als sie in ihrer Aufregung und Furcht vor Jean-Jacques Noir alles mit sich hatte geschehen lassen, weinte sie nicht mehr, sondern war sehr gefasst.
Als erahnte sie seine Zweifel, fuhr sie fort: „Sie mögen glauben, dass ich mit Noir gemeinsame Sache mache. Doch das stimmt nicht! Der Mann ist ein Ungeheuer! Marcus hatte versprochen, dass er mich, wenn er Heimaturlaub bekäme, nach England bringen würde, dass seine Familie mich freudig aufnehmen würde. Aber dann ist er gefallen. Nun bin ich allein und unerwünscht! Es ist offensichtlich, dass Sie mich nicht haben wollen.“
„Hat Marcus Sie wirklich geheiratet? Mitten in diesem grässlichen Krieg?“, fragte Adam skeptisch und sprach damit aus, was Lucius nur dachte.
„Es war Liebe auf den ersten Blick.“ Trotzig hob sie das Kinn. Ihre porzellanblauen Augen blitzten herausfordernd. „Als meine Familie dann bei einem Angriff getötet wurde, wollte Marcus mich nicht schutzlos meinem Schicksal überlassen. Er bestand darauf, mich zu heiraten. Die Ehe wurde von einem Militärgeistlichen geschlossen.“
Früher einmal hätte Lucius behauptet, eine solche Betörung sei völlig untypisch für den vernunftgesteuerten Bruder, nun aber war er sich nicht mehr so sicher. Erfuhr er nicht gerade am eigenen Leibe, wozu einen die Liebe treiben konnte, wenn sie einen traf?
Die Tür wurde geöffnet, und Harriette kam herein. Die dunklen Locken fielen ihr weich über die Schultern, und das leichte, helle Musselingewand mit dem Spitzenbesatz verlieh ihr ein Flair modischer Eleganz. Doch Lucius dachte, dass sie aussah, als genügte ein Windhauch, sie umzustoßen.
„Harriette, du solltest ruhen“, mahnte er unwillkürlich.
„Ich bin ausgeruht.“ Ihre energischen Worte duldeten keinen Widerspruch. Sie ging zu Marie-Claude und nahm deren Hand. „Haben meine Leute sich um Sie gekümmert?“
„Ja, danke, darüber kann ich nicht klagen, doch meine Ehrlichkeit wird angezweifelt.“
„ Madame , Verzeihung“, sagte Lucius, „haben Sie denn nichts, das ihre Heirat mit meinem Bruder bestätigt?“
„Nein, nichts als mein Ehrenwort. Und das hier.“ Sie nestelte eine dünne Kette unter ihrem Busentuch hervor und zeigte den Ring, der daran hing. „Aber den hätte ich ja auch stehlen können, nicht wahr? Vielleicht gar von seinem Leichnam!“, setzte sie sarkastisch hinzu.
„Dokumente besitzen Sie nicht, Madame ?“, forschte Adam.
„Nein, Monsieur , dieser abscheuliche Mann nahm sie mir fort. Ich habe keinerlei Beweise. Und mein liebster Marcus ist tot.“ Plötzlich schimmerten ihre Augen feucht. Doch sie weinte nicht.
Von ihrer tapferen Haltung beeindruckt, suchte Lucius das amtliche Schreiben, das Noir ihm geschickt hatte, aus seiner Brusttasche und hielt es ihr hin. „ Madame , ist dies das Dokument, das Ihnen gestohlen wurde?“
Aufkeuchend stürzte Marie-Claude sich fast auf das Blatt, faltete es auseinander und fuhr aufgeregt mit einem Finger den Zeilen nach. „Ja, oh ja, das ist es“, flüsterte sie und presste es an ihre Brust, wobei sie die Tränen nicht mehr unterdrücken
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