haben. Marie fragte sich, ob er das getan hatte, weil sie ihm dazu geraten hatte. Oder weil er wusste, wie wichtig ihr Familie war? Oder hatte er inzwischen sein Leben geordnet?
Auf der Suche nach einer Antwort las sie Oles nächste Mail.
Hallo Witchcraft,
heute ist so einer dieser Tage, an denen alles schief läuft. Kennst du das?
Marie versuchte zu rekonstruieren, was an diesem Tag in Karlos Leben passiert war. Sie schaute in ihren Kalender, „Personalankündigung“ stand dort. Das war der Tag, an dem die Königin ihre Nachfolge verkündet hatte. Eigentlich hätte Karlo sich doch freuen müssen. Dann fiel Marie wieder ein, wie Karlo sie den ganzen Vormittag über hatte sprechen wollen und sie keine Zeit für ihn gehabt hatte. Später war sie so sauer auf ihn gewesen. War es das, was schief gelaufen war?
Marie schrak aus ihren Gedanken hoch, als es an der Tür klingelte. Das musste Karlo sein. Sie wollte ihn nicht sehen. Marie wusste noch nicht, ob sie ihn je wiedersehen wollte. Er hatte sie hintergangen. Erneut. Warum um Himmels willen musste sie so etwas immer von anderen erfahren? Wie sollte sie jemals wissen, was an ihrer Beziehung echt war? Verdammt, sie hatte noch nicht einmal seinen richtigen Namen gekannt!
Es klingelte wieder. Simba flitzte an ihr vorbei zur Tür, um den Besuch willkommen zu heißen, doch Marie ignorierte das Läuten. Es waren noch zwei Mails übrig. Als sie anfing zu lesen, rutschte ihr das Herz in die Hose.
Hallo Ole,
so einen Tag erlebe ich gerade auch! Ich habe eben erfahren, dass ich einen neuen Chef bekomme. Einen Frauenhelden hoch zehn. Weißt du wie er und sein bester Freund ihre Männer-WG nennen? Habichthorst! Sie fühlen sich wie zwei Habichte, die über der Stadt kreisen und Frauen jagen! Der Typ gibt sich nach außen charmant und wickelt die weibliche Belegschaft, inklusive unserer Chefin, um den Finger. Gleichzeitig lügt er einem wie gedruckt ins Gesicht. Ich konnte ihn schon am ersten Arbeitstag nicht riechen. Und der soll nun mein Chef werden? Ich werde gleich morgen meine erste Bewerbung schreiben.
Warum hatte ihr Karlo diese Mail nicht um die Ohren gehauen? War das eine Art Sport für ihn? So nach dem Motto: Die bekomme ich auch noch rum? Marie fiel wieder ein, dass sie sich damals gefragt hatte, warum Ole auf die Mail so lange nicht geantwortet hatte. Nun war ihr alles klar. Spätestens nach dieser Mail hatte er gewusst, wer Witchcraft war. Obwohl Karlo auch gewusst hatte, was sie von seinen Lügen hielt, log er einfach weiter, sagte kein Wort.
Maries Handy klingelte. Sie sah Karlos Namen auf dem Display, drückte ihn weg und schaltete das Telefon aus.
Dann öffnete sie mit flauem Magen Oles letzte Mail. An die konnte sie sich noch am besten erinnern, hatte sie ihr damals doch einen tiefen Stich versetzt.
Liebe Marie,
wir haben uns viel voneinander erzählt und ich habe mir sehr zu Herzen genommen, was du mir gesagt hast. Dafür möchte ich dir danken. Dennoch glaube ich, dass wir unseren Kontakt einstellen sollten. Ich habe offline eine Frau kennengelernt und mich in sie verliebt. Ich möchte meine Gefühle und Gedanken nun mit ihr teilen. Es wäre dir und ihr gegenüber nicht fair, wenn wir unseren Mailkontakt unter diesen Umständen aufrechterhielten.
Danke für alles. Ich wünsche dir, dass du den Richtigen erkennst, wenn er vor dir steht!
Lieber Gruß
Ole
„Ich habe offline eine Frau kennengelernt und mich in sie verliebt.“ Immer und immer wieder las Marie diesen Satz. Ihre Gefühle schwankten zwischen der Hoffnung, dass dieser Satz ehrlich gemeint war, und der Befürchtung, dass Karlo sie zum Narren hielt. Wie sollte sie ihm je wieder glauben?
Marie ignorierte das Klingeln an der Tür. Sie öffnete über ihren Dienst-Account eine neue Mail und schrieb:
Liebe Frau König, lieber Karlo,
ich fühle mich nicht gut und muss mich deshalb leider für morgen krank melden. Ich gebe Bescheid, wenn ich weiß, ob ich für mehrere Tage ausfalle.
Mit freundlichen Grüßen
Marie Rebmann
Business Analyst
Mail to:
[email protected] JCN Jordan Consulting Network
Marie war erschöpft. Sie wusste, dass sie ihre Gedanken an diesem Abend sowieso nicht mehr sortiert bekäme, und ging ins Bett. Sie würde am nächsten Tag zu ihren Eltern fahren und dort ihre Wunden lecken.
Marie drückte sich ihr Kissen auf die Ohren, um das ständige Klingeln an der Haustür auszublenden. Irgendwann verebbte das Geräusch und