Verräterische Lippen
Halbbruder?«
Mendez
nickte.
Ich
ließ diese Information auf mich wirken. Dann klickte es in meinem Gehirn, als
sei eine Münze durch einen Schlitz gesteckt worden. Ich verfluchte mich
innerlich, daß ich so lange nicht richtig geschaltet hatte. Aber was konnte ich
von einem Verstand erwarten, bei dem der Groschen nur pfennigweise fiel?
»Jetzt
verstehe ich, warum Sie bei den Entführern so ungehindert ein und aus gehen
konnten«, sagte ich. »Marguerita vertraute Ihnen vorbehaltlos, weil Sie der
Vierte im Bunde waren. Sie gehörten von Anfang an dazu .«
»Trotzdem
verhielt sich Carlos mir gegenüber loyal«, erklärte der Präsident stolz. »Als
Rodriguez und Juarez mit ihrem Plan an ihn herantraten, gab er vor, begeistert
zu sein. Sie glaubten ihm, weil er Margueritas Vertrauen besaß. Er hat in meinem Interesse immer ein sehr enges Verhältnis zu
seiner Schwester gepflegt. Er wußte, was sie von meinen politischen Idealen
hielt, und daß sie gefährlich war .«
»Da
Sie außer Landes waren, wandte er sich an General Ortez .
Beide beschlossen, die Entführung zu sabotieren ?«
Der
Präsident lächelte wie ein Lehrer, der einen begabten Schüler ermutigt.
»Inzwischen
schickten Sie mich hierher, um bei Rodriguez und Juarez jeden Verdacht zu
zerstreuen. Sie könnten aufmerksam geworden sein. Ich war nur ein Lockvogel,
während Ramirez und Ortez ihr Spiel trieben und auf
Ihre Rückkehr warteten .«
»Betrachten
Sie Ihre Rolle nicht als unwichtig, Señor Roberts«, protestierte Mendez.
»Hätten Sie Rodriguez nicht die Hoffnung gegeben, General Ortez aus dem Weg räumen zu können, wäre er womöglich ermutigt worden seine Ziele mit
Gewalt durchzusetzen. Und hätte er die Armee unter seine Kontrolle bekommen,
wäre meine Sache verloren gewesen. Sie haben eine Revolution verhindert, Señor .«
»Vielleicht
haben Sie recht«, räumte ich ein. »Und ich werde mein Bestes tun, eine weitere
zu verhindern .«
»Was
meinen Sie damit ?«
»Ich
nehme an, Revolution ist ein zu starker Ausdruck«, erklärte ich beiläufig. »Mit
einer Hälfte der Militärstreitkräfte unter der Befehlsgewalt von Ortez und der anderen unter der Befehlsgewalt von Ramirez,
brauchen diese beiden, nachdem nun auch noch ihre politischen Gegner Rodriguez
und Juarez außer Gefecht gesetzt sind, wirklich nichts weiter zu tun, als
zuletzt Ihnen die Pistole an die Schläfe zu halten und abzudrücken, falls Sie
nicht zurücktreten.«
Die
Augen des Präsidenten verengten sich. Er biß die Zähne aufeinander.
Der
General reagierte heftiger. »Was sagen Sie da ?« Ortez ’ fleischiges Gesicht war verzerrt vor Wut. Er faßte
nach der Pistole in seinem Halfter. Mendez gab dem Wachtposten hinter uns ein
kaum wahrnehmbares Zeichen. Der Soldat riß geräuschvoll das Gewehr von seiner
Schulter und legte es auf uns an. Der General ließ den Pistolengriff los.
Ramirez
hatte sich nicht aufgeregt. Seine Selbstbeherrschung war perfekt. Ich hätte ihn
bewundert, wäre mir nicht klar gewesen, daß seine Kühle keine Tapferkeit,
sondern nur die Gefühllosigkeit eines Sadisten war.
»Einen
Mord haben wir nämlich noch ganz außer acht gelassen«, sagte ich verbissen.
»Das Mädchen in dem Brunnen, das Marguerita ähnlich sah, und das Ramirez
getötet und zerstückelt hat.«
Der
Präsident seufzte. Er schüttelte betrübt den Kopf, wie um seine Gedanken
abzuwehren. »Davon weiß ich«, meinte er. »Es war eine scheußliche Angelegenheit
für Carlos, aber er hat es für mich getan. Er hat mir davon erzählt .«
»Daß
er und Ortez das Mädchen wegen seiner Ähnlichkeit mit
Marguerita ausgesucht und dazu benutzt haben, die Geschichte von der Entführung
platzen zu lassen ?«
»Ja.
Sie war nur eine Prostituierte, müssen Sie wissen .«
»Sie
war ein Mensch«, versetzte ich ruhig.
»Ich
weiß .« Mendez stöhnte, als sei er der Schuldige.
Ramirez
starrte mich mit völlig ausdruckslosem Gesicht an.
»Hat
er Ihnen auch gesagt, warum sie beschlossen, das Mädchen umzubringen ?« fragte ich.
Mendez
antwortete hastig. »Die Meldung von Margueritas Tod
mußte die Pläne von Rodriguez erheblich verzögern. Vor allem würde er dann
beweisen müssen, daß sie noch lebte, bevor irgendwelche Verhandlungen beginnen
konnten .«
»Klingt
Ihnen das nicht selber ein bißchen dünn ?« fiel ich ihm
ins Wort. »Was halten Sie statt dessen davon: Als
Juarez die Leiche entdeckte, glaubte er, Marguerita sei tot, und gab in seiner
Panik diese Nachricht bekannt. Er wußte
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