Verrat in Freistatt
Boden schleifen. Kein Laut verriet nunmehr seine Schmerzen, aber der Mund war verzerrt, als stoße er geräuschlose Schreie aus.
»Mehr. Ihr müßt sie völlig abbiegen. Mehr, Kämpfer! Wollt ihr ein Krüppel werden? Mehr! Das andere Knie - mehr! Bewegt es!«
Speichel lief aus den Mundwinkeln des Sklavenhändlers, er beschmutzte sich selbst vor Schmerz, aber er bewegte die Knie, erst das eine, dann das andere. Rechtes Knie - ausstrecken, linkes Knie - ausstrecken, rechtes Knie ...
Er hatte den Sinn für Raum und Zeit verloren. Seine ganze Welt bestand nur noch aus der Wiederholung der einfachen Übungen.
»Wo ist dieser Wille, mit dem Ihr Euch brüstetet?« spottete sein Folterknecht. »Mehr! Knickt die Knie völlig ab. Bewegen!«
Er gewöhnte sich an den Geschmack von Vertans widerlicher Brühe. Noch immer ekelte er sich davor, aber das beständige Hinnehmen machte die Übelkeit zur Gewohnheit und deshalb erträglich.
»Heute werdet Ihr stehen«, verkündete der Magier ganz unfeierlich.
Jubal sah ihn an, ein Stück Ziegenbraten zwischen den Zähnen. Wie versprochen nahm er nun für jede Mahlzeit, die der Magier aß, fünf zu sich. »Bin ich fertig?«
»Nein«, gab Vertan zu. »Aber schließlich sind nicht nur Eure Knie in Mitleidenschaft gezogen. Eure Muskeln, insbesondere Eure Beinmuskeln, müssen bewegt werden, wenn sie bei Kräften bleiben sollen. Mit den Füßen in der Luft zu winken, ist nicht genug für Eure Beine, sie müssen wieder Euren Körper tragen können, je eher, desto besser.«
»Nun gut«, stimmte der Sklavenhändler zu, aß den Rest des Fleisches auf und wischte sich die Hände an den Ärmeln ab. »Dann wollen wir es gleich tun, ehe ich das verdaute Essen wieder ausscheiden muß.«
Auch diese Funktion hatte sich verfünffacht.
Er griff mit einer Hand nach der Wand, zog die Füße an den Körper heran und drückte mit den Beinen. Aufstehen war früher so einfach gewesen, es war eine Tätigkeit, an die er nie auch nur einen Gedanken verschwendet hatte. Jetzt lief ihm der Schweiß über die Brauen, und die Welt verschwamm ihm vor den Augen. Er drückte weiter, inzwischen war ihm der Schmerz so vertraut wie das Gesicht des Lizereners. Langsam, mit den Händen gegen die Wand gestützt, erhob er sich, bis sein Gewicht auf den Beinen lastete.
»Hier«, verkündete er durch zusammengepresste Zähne und wünschte sich, der Boden und die Wände würden aufhören, sich zu bewegen. »Wie Ihr sagtet, nichts ist unmöglich, wenn nur der Wille stark genug ist.«
»Gut«, sagte Vertan mit einem boshaften kleinen Lachen, »dann wird es Euch auch nichts ausmachen, ein wenig hin- und herzugehen.«
»Gehen?« Jubal preßte sich gegen die Wand, ihm wurde schwindlig. »Ihr sagtet nichts von gehen!«
»Natürlich«, der Zauberer zuckte mit den Schultern. »Hätte ich davon gesprochen, wärt Ihr dann aufgestanden? Und jetzt geht - oder erinnert Ihr Euch nicht mehr, wie man das macht?«
Das Gewitter tobte, was die Nacht greifbarer erscheinen ließ. Jubal übte nun ohne Vertans Aufsicht. Jetzt, da seine Beweglichkeit zurückkehrte, war das nicht mehr ungewöhnlich. Er schlief und wachte, wie sein heilender Körper es verlangte, und hatte oft Gelegenheit, für sich allein zu üben.
Die Ziegen, vom Regen vertrieben, hatten sich andernorts einen Unterschlupf gesucht, und so fehlte sogar sein Stammpublikum. Aber der Sklavenhändler übte weiter, ohne auf den schmatzenden Dreck zu seinen Füßen zu achten. Er hielt einen festen Stock in den Händen - einen Ast von der Länge eines Schwertes.
Parieren, Hieb, Parade nach hinten. Umdrehen, ducken. Hieb auf die Beine, Bewegen. Bewegen. Bewegen. Immer und immer wieder übte er den Todestanz, den er als Gladiator gelernt hatte. Der Schmerz war nun ein fernes Leiden, ein Leiden, das er verdrängen konnte. Etwas anderes beschäftigte ihn jetzt.
Umdrehen, Hieb. Bewegen. Parade, umdrehen, Parade, Hieb. Schließlich hielt er inne. Die Regentropfen fingen sich in den Falten seiner Stirn.
Langsam - alles. Zu langsam.
Dem ungeschulten Auge mochte seine Schwertführung geschmeidig und erfahren erscheinen, aber er wußte, daß das nur ein Bruchteil seiner alten Gewandtheit war. Mit der Linken formte er aus dem Dreck zwei Klumpen und warf sie hoch in die Luft. Mit der improvisierten Waffe hieb er danach. Ein Klumpen zerplatzte in der Luft, als der Ast ihn traf, der andere aber fiel mit einem Geräusch in den Schlamm, das Jubal wie eine Todeswarnung in den Ohren
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