Verrat in Freistatt
werden konnten. Gewöhnlich kamen diese Wagemutigen allerdings nach wenigen Wochen abgebrannt wieder zurück. Sie stahlen sich durch die Hintergassen und schliefen wie die Obdachlosen aller Zeiten unter zusammengetragenen Lumpen und Fetzen, der Wärme des verrottenden Zeuges wegen, gegen den Abfall gedrückt - den sie nach Brauchbarem durchstöberten (in Abwind besonders kärglich.)
So begannen sie von neuem oder - falls sie keine Einfälle mehr hatten - wurden schließlich starr und steif im Schmutz der Hintergassen aufgefunden.
Mama Becho gehörte zu denen, die Glück hatten. Ihr haftete etwas an - aber das war wohl auch bei allen anderen in Abwind der Fall. Der Gestank dort klebte an Haut und Haar, an den Wänden und im Dreck der Gassen und in den Nasenflügeln. Er trieb mit dem Wind herbei von Freistatts Schlachthaus, den Gerbereien und Stoffwalkereien und (an windgünstigeren Tagen) von den Sümpfen im Süden. Aber selbst in den seltenen Zeiten, da der Wind aus dem Norden rein und frisch blies, war der ureigene Gestank von Abwind stärker, so daß niemand es bemerkte, am wenigstens Mama Becho, die die einzige Schenke von Abwind betrieb. Sie verkaufte dort fast ausschließlich ihr eigenes Gebräu, und was da hineinkam (oder hineinfiel), wenn sie es in der Hinterkammer herstellte, wagten nicht einmal die Abwinder zu fragen, aber sie bezahlten dafür oder tauschten etwas anderes dafür ein, und (manchmal in dem dunklen Gewirr der Abwindgassen) mordeten oder starben sie sogar dafür. Was sie verkaufte, war Vergessen, und das war eine Macht in Abwind, gleich der echten Zauberei, die sich ihren Platz über dem Fluß gewann, der Freistatts Fegefeuer von dieser anschließenden Hölle trennte.
So waren ihre Gaststube und die Gasse davor voll mit mehr oder weniger Betrunkenen, und es stank nach dem Gesöff und den Gästen, die Seife gar nicht kannten, und die auf den hauptsächlich behelfsmäßigen Sitzen lungerten. Und diese Sitze wiederum waren mit Lagen um Lagen von Lumpen bedeckt, seit Jahren nicht gewaschen, und einer auf den anderen gelegt, um die Löcher des jeweils unteren zu verbergen. Des Tages fiel Licht durch Fenster und Tür, des Nachts warf eine Lampe nicht weniger Rauch denn Licht auf die kaum erkennbaren Gestalten der Gäste sowie auf die armselige Einrichtung und den Dreck. In der Hinterkammer stieg Rauch anderer Art auf und fügte dem Gestank in der Wirtsstube einen beißenden Geruch hinzu. Diese Hinterkammer und das mit der Zeit tödliche Laster boten Mama Becho eine weitere Einnahmequelle.
Sie bewegte sich wie ein schwerfälliger Kauffahrer durch die Riffe von Sitzen und Trinkern und dem Treibgut von Abfällen auf dem Boden. Eine kaum vorstellbare Menge von eingebeulten Bechern und Krügen trug sie mit den kräftigen roten Händen, diese stämmige Frau in ihrem geflickten Kittel, dessen ehemalige Farbe nicht mehr zu erkennen war. Ihr ergrautes Haar, das seltsam verdreht aufgesteckt war, entfloh wirr den hölzernen Nadeln und hing in verschwitzten Strähnen ins Gesicht. Ihre kräftigen Arme konnten ein volles Bierfaß stemmen oder einen Besoffenen auf die Straße befördern. Und ihr finsteres Gesicht mit den tiefliegenden harten Augen, dem verkniffenen Mund, der sich schier in den Hängebacken verlor, war fast Legende in Abwind. Zwei Knaben, mit verschleiertem Blick und überbeansprucht, halfen ihr. Man munkelte etwas ganz Bestimmtes über sie, doch nur außerhalb Mama Bechos Schenke. Die Frau hatte immer verwaiste Straßenjungen aufgenommen, und nicht wenige waren nun erwachsen wie Tygoth, von dem man nicht wußte, ob er ihr eigener Sohn oder einer der Findlinge war. Er lungerte in der Gaststube herum und sein leicht irrer Blick verfolgte die Knaben. Tygoth war von Mama Bechos Größe, hatte jedoch angeblich nur etwa halb soviel Verstand und war so treu ergeben wie ein gut gefütterter Hund. Außerdem war da noch Haggit, Mamas Ältester, ein hagerer, krumm gewachsener Mann mit fettem strähnigem Haar, ein Bettler gewöhnlich, doch an manchen Morgen kam er heim -und keineswegs so schlimm hinkend wie auf den Straßen von Freistatt -, um seine Einnahmen bei Mama Becho zu vertrinken.
Also kam doch einiges Geld nach Abwind in diesen Tagen der Unruhe, da Jubal quasi gestürzt war und die Stiefsöhne paarweise durch die Straßen ritten und Schrecken verbreiteten, wo sie konnten. Und unweigerlich fand, wer ein paar Münzen hatte, sich bei Mama Becho ein, und diese Münzen sicherten ihm einen Platz auf
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