Verrat in Paris
dreinblickenden Wachen, ins Herz des Gebäudekomplexes. Hier gab es keine Fenster; selbst die Luft schien hermetisch von der Außenwelt abgeriegelt zu sein. Von hier gibt es kein Entkommen, dachte Beryl. Nur durch den Tod.
Sie blieben vor einer Zelle mit der Nummer fünf stehen. Zwei Wärter, jeder mit einem eigenen Schlüssel, öffneten separate Schlösser. Die Tür öffnete sich.
Drinnen saß ein alter Mann auf einem Holzstuhl. Er hatte eine Sauerstoffmaske auf der Nase sitzen. Seine Gefängniskleidung – gelbbraunes Hemd und Hose, kein Gürtel – war für den verfallenden Körper zu groß geworden. Das Neonlicht ließ sein Gesicht gelblich aussehen. Hinter dem Stuhl stand ein Sauerstofftank; außer dem zischenden Geräusch des Gases, das in seine Nasenlöcher strömte, war es still in der Zelle.
Der Gefängnisleiter begrüßte ihn: »Guten Tag, Heinrich.«
Leitner sagte nichts. Er quittierte den Gruß lediglich mit einem Augenblinzeln.
»Ich habe Lord Lovat aus England dabei. Sie kennen seinen Namen?«
Wieder blinzelte der alte Mann mit den blauen Augen. Und dann flüsterte er kaum hörbar: »MI 6.«
»Das stimmt«, sagte Hugh. »Inzwischen in Pension.«
»Ich auch«, kam die Antwort ohne jeglichen Humor. Leitners Blick fiel auf Beryl und Richard.
»Meine Nichte«, erklärte Hugh. »Und ein ehemaliger Kollege, Richard Wolf.«
»CIA?« fragte Leitner. Richard nickte. »Auch in Pension.«
Leitner brachte ein schwaches Lächeln zustande. »Wie unterschiedlich wir unseren Ruhestand genießen.« Er sah wieder Hugh an. »Und Sie wollten einfach mal beim ehemaligen Feind vorbeischauen? Das ist aber nett.«
»Nicht direkt«, sagte Hugh.
Leitner fing an zu husten, und diese Anstrengung war beinahe zu viel für ihn; als er schließlich wieder in seinen Stuhl zurücksank, war sein Gesicht bläulich angelaufen. »Was wollen Sie wissen?«
»Die Identität Ihres Doppelagenten in Paris. Codename Delphi.«
Leitner schwieg.
»Der Name ist Ihnen sicher geläufig, Herr Leitner. Delphi hat jahrelang wertvolle Informationen geliefert. Er war Ihre Verbindung zur NATO. Erinnern Sie sich?«
»Das ist zwanzig Jahre her«, murmelte Leitner. »Die Welt hat sich verändert.«
»Wir wollen nur seinen Namen. Das ist alles.«
»Damit ihr Delphi einlochen könnt wie mich? Ihm die Sonne und die frische Luft zum Atmen wegnehmen?«
»Damit das Morden ein Ende hat«, sagte Richard.
Leitner runzelte die Stirn. »Welches Morden?«
»Das aktuelle Morden. Gerade wurde eine französische Agentin in Paris ermordet. Und in Griechenland ein Mann erschossen. Beide Taten hängen mit Delphi zusammen.«
»Das ist nicht möglich«, entgegnete Leitner.
»Warum nicht?«
»Delphi wurde stillgelegt.«
Hugh sah ihn fragend an. »Soll das heißen, er ist tot?«
»Das ergibt doch keinen Sinn«, sagte Richard. »Wenn Delphi tot ist, warum wird immer noch gemordet?«
»Vielleicht«, erwiderte Leitner, »hat das alles gar nichts mit Delphi zu tun.«
»Oder vielleicht lügen Sie«, sagte Richard.
Leitner lächelte. »Könnte auch sein.« Unvermittelt begann er wieder zu husten; es klang, als würde er ersticken. Er konnte nur wieder sprechen, weil er nach jedem Satz die Sauerstoffmaske überzog. »Delphi war ein bezahlter Rekrut«, sagte er. »Kein überzeugter Anhänger. Sie verstehen, dass wir die echten Anhänger bevorzugten. Die waren nicht so teuer.«
»Er tat es also nur wegen des Geldes?« fragte Richard.
»Eine recht ansehnliche Summe, die da im Lauf der Jahre zusammenkam.«
»Wann hörte er auf?«
»Als es ein Risiko für alle Beteiligten wurde. Also beendete Delphi die Zusammenarbeit. Und verwischte seine Spuren, bevor Ihr Geheimdienst ihn enttarnen konnte.«
»Und deshalb wurden meine Eltern umgebracht?« fragte Beryl. »Weil Delphi seine Spuren verwischen musste? War es deshalb?«
Leitner sah sie fragend an. »Ihre Eltern?«
»Bernard und Madeline Tavistock. Sie wurden in einer Dachwohnung am Pigalle erschossen.«
»Ein Mord und ein Selbstmord. Ich habe den Bericht gelesen.«
»Oder vielleicht wurden beide von ihm umgebracht. Von Delphi.«
Leitner sah Hugh an. »Ich habe keinen solchen Befehl erteilt. Und das ist die Wahrheit.«
»Das bedeutet, dass etwas von dem, was Sie uns gesagt haben,
nicht
die Wahrheit ist?« versuchte es Richard.
Leitner nahm einen tiefen Zug Sauerstoff und atmete schmerzerfüllt aus. »Die Wahrheit ist trügerisch«, flüsterte er. »Was spielt das jetzt noch für eine Rolle?« Er sank in
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