Verrückte Lust
anbieten konnte. June schrieb ihm von Zeit zu Zeit, daß verschiedene Verlage interessiert seien, doch auf diese Informationen war ebensowenig Verlaß wie auf alle ihre Geschichten. Kurz nach seiner Ankunft hatte Miller mit seinem – wie er es nannte – »Paris-Buch« begonnen, jener umfangreichen, pathetischen Schilderung der Abenteuer, welche der abgerissene Ich-Erzähler in Paris erlebt, und aus der schließlich Wendekreis des Krebses wurde. Selbst als das
»Paris-Buch« von Jack Kahane von der Obelisk Press gekauft worden war, versuchte Miller noch, Verrückte Lust
unterzubringen, indem er das Manuskript an Samuel Putnam schickte.
Als Wendekreis des Krebses jedoch 1934 erschien, gab Miller seinen dritten Roman auf. Die Manuskripte von Verrückte Lust befanden sich nun allesamt in Junes Besitz; er bat sie, diese bei ihrem letzten Besuch in Paris mitzubringen, doch June vergaß sie. Zu dieser Zeit verarbeitete Miller Elemente seines Lebens mit June in Wendekreis des Steinbocks; er griff die Geschichte der menage à trois in der Henry Street erst wieder auf, als er 1942 mit der Arbeit an Sexus, Plexus und Nexus begann. 1940
kehrte er nach Amerika zurück und ließ sich schließlich im abgelegenen Küstengebiet von Big Sur in Kalifornien nieder, wo er als der berühmteste verbotene Schriftsteller des Landes in völliger Armut lebte.
Das Manuskript von Verrückte Lust schien verschollen zu sein – kein Wunder bei Junes rastloser Lebensweise. Nach ihrer Rückkehr aus Paris heiratete sie Stratford Corbett, einen Angestellten bei der New York Life
Versicherungsgesellschaft. Im Zweiten Weltkrieg wurde
Corbett Bomberpilot, und nach dem Krieg blieb er bei der Luftwaffe. June folgte ihm von einem Stützpunkt zum anderen, erst nach Florida, dann nach Texas. Dort wurde die Ehe geschieden, und June zog wieder nach New York. 1947
schrieb sie an Henry, zum erstenmal seit fünfzehn Jahren, und was sie schrieb, klang nicht gut. Ihre Gesundheit war sehr angegriffen; sie litt an einer schweren Dickdarmentzündung, und es war deutlich, daß ihr Geisteszustand sich verschlechtert hatte. Während der fünfziger Jahre schrieb sie Henry
regelmäßig und bedankte sich für die kleinen Geldsummen, die er ihr zukommen ließ. Ihre Briefe – sie befinden sich in den Miller-Archiven der University of California in Los Angeles –
sind bedrückend. In der Hoffnung auf eine feste Anstellung arbeitete sie mehrere Jahre lang ohne Bezahlung für die Wohlfahrtsbehörde der Stadt. Sie war fast völlig mittellos und hatte gesundheitliche Probleme; mehrmals schrieb sie, sie leide an schwerer Unterernährung. Dennoch interessierte sie sich für Henrys Kinder und freundete sich mit Lepska und dann mit Eve, Henrys Ehefrauen, an.
1956 erfuhr Miller, daß Junes Bruder sie nach einem
Zwischenfall, in dessen Verlauf ein Fernsehgerät aus ihrem Fenster in einer Pension in der Upper West Side gefallen war, in das Pilgrim State Hospital hatte einweisen lassen. Miller sorgte dafür, daß ein New Yorker Ehepaar – James und
Annette Baxter – June nach ihrer Entlassung regelmäßig besuchte und sich um ihr materielles Wohlergehen kümmerte.
Einige Jahre später, auf dem Rückweg von einer Europareise, besuchte er sie selbst. Ihr körperlicher Zustand hatte sich weiter verschlechtert, und sie war – infolge eines Sturzes bei einer Elektroschockbehandlung – teilweise gelähmt. Doch er war beeindruckt von ihrem Lebensmut; er war überzeugt, daß sie allein durch ihren starken Willen überlebt hatte.
Niemand dachte daran, sie nach den Manuskripten von
Millers frühen Romanen zu fragen. Zwei große Koffer hatten June auf all ihren Reisen begleitet, und sie behauptete, daß der Inhalt des einen durch Wasser beschädigt worden sei. Annette Baxter hatte sich jedoch wissenschaftlich mit Miller
beschäftigt – ihre Dissertation befaßte sich mit seinen Romanen –, und sie überzeugte June, daß alle Manuskripte, die noch in ihrem Besitz seien, große wissenschaftliche Bedeutung hätten. Im Dezember 1960 teilten die Baxters Miller voller Freude mit, sie hätten die »Tony Bring«-Manuskripte
gefunden. June war jedoch nicht bereit, sie herauszugeben. Die Baxters erörterten bereits die Anschaffung eines der gerade auf den Markt gekommenen Photokopiergeräte, als June
schließlich nachgab und ihnen auch das Manuskript zu Moloch aushändigte. Triumphierend schickten die Baxters beide Manuskripte an Miller.
Doch dessen Verhältnisse hatten sich
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