Verrückte Lust
Pfeil war, der auf den Tod zuflog, nicht der parabolische Kuß der Unendlichkeit und auch nicht die edle Symphonie der Biologie, sondern eher eine Folge von
Erschütterungen, eine seismographische Aufzeichnung von Beben, von Gipfeln und Abgründen und weiten, friedlichen Tälern, die wie göttliche Menopausen waren.
Eines späten Nachmittags sprang er wie elektrisiert aus dem Bett, nahm ein herzhaftes Mahl ein, mit dem er gegen alle Diätregeln verstieß, die für ihn aufgestellt worden waren, und begann zu schreiben. Je lauter sie klopften, je mehr sie pfiffen und sangen, desto besser schrieb er. Die Wörter ragten in ihm auf wie Grabsteine, sie tanzten, obwohl sie keine Füße hatten; er häufte sie auf wie eine Akropolis aus Fleisch, er ließ seinen bitteren Haß auf sie niederprasseln, bis sie dahingen wie Leichen an einem Laternenpfahl. Die Augen der Welt waren Gitarren, und sie waren von schwarzen Spitzen eingerahmt, und er setzte seinen Wörtern verrückte Hüte auf und schob ihnen Tischbeine und Servietten unter den Schoß. Und er ließ seine Wörter miteinander kopulieren, damit sie Imperien zeugten, Skarabäen, Weihwasser, Läuse von Träumen und
Träume von Wunden. Er setzte seine Wörter hin und band sie mit ihren schwarzen Spitzen an die Stühle und fiel dann über sie her und peitschte sie aus, peitschte sie aus, bis das Blut schwarz wurde und die Augen die Schleier durchbohrten. Das, an was er sich von seinem Leben erinnern konnte, waren die Erschütterungen, die seismographischen Orgasmen, die gesagt hatten: »Jetzt lebst du« – »Jetzt stirbst du«. Und die weiten, friedlichen Täler, nach denen man sich sehnte, waren das Futter, das die Kühe wiederkäuten, waren die Liebe, die die Frauen zwischen ihre Beine nahmen, wo sie sie zerkauten, waren eine Glocke mit einem riesigen Klöppel, die mit ihrem Läuten den Wind zerriß. Die Gipfel und Abgründe – dort war das Leben, das Hochschnellen des Quecksilbers im
Thermometer der Adern, der ungezügelte Pulsschlag. Die Gipfel – der Heilige, der hinaufsteigt, um einen verstohlenen Blick auf Gottes Hintern zu werfen, ein Prophet mit Dung in den Händen und Schaum vor dem Mund, ein Derwisch mit
Musik in seinen Fußballen, mit sich windenden Schlangen in den Eingeweiden, und er tanzt, tanzt, tanzt, weil er Maden im Hirn hat… Keine Höhen und Tiefen, sondern Ekstase
umgekehrt, die Innenseite nach außen gekehrt, und das Unten reicht ebensoweit wie das Oben. Erniedrigung endet nicht am Boden, sondern geht durch den Boden hindurch, durch Gras und Wurzeln und unterirdischen Strom, vom Zenit bis zum Nadir. Alles, was geliebt wurde, wurde inbrünstig gehaßt.
Nicht der kalte Stachel des Gewissens, nicht die quälende Kasteiung des Geistes, sondern blitzende, helle, grausame Klingen, Verachtung, Beleidigung, Anmaßung, kein Zweifel an Gott, sondern die Verleugnung Gottes, das Verwerfen Gottes, das Anspucken Gottes. Aber immer Gott!
Und dann sprang Vanya eines Nachts auf wie ein
schlammbedeckter Delphin, und sie sagte: »Ich werde
verrückt… werde verrückt!« und er sagte zu sich: Gut! Nun sind wir also endlich soweit… Dann werd doch verrückt!
Verrückt zu werden heißt aufzuhören, ein Eunuch zu sein, heißt die fruchtbaren Täler aufgeben, nicht mehr mit Farben zu masturbieren oder seinen Namen zu ändern. Wenn sie nur verrückt werden würde, würde er sie in Verrücktheit umarmen
– sie männlich und er weiblich. Er würde die Öffnungen des Hauses verschließen, und sie würden den Tod durch
Ausschweifung sterben. Und die Amphibische, die ihr
Geschlecht mit der Jahreszeit wechselte, die sich wie eine Auster verschloß und die beiden harten Schalen ihr Geheimnis nannte, konnte ihr Geheimnis in Jod und Schlamm hätscheln.
Kälter als eine Statue, mit lebloser Stimme und glasigen Augen, stand sie, die ein Geheimnis war, neben dem Kotztisch.
Wie eine Schlafwandlerin, die immer wieder auf sich einsticht.
Eine Generalprobe vor leerem Haus, ein Impromptu-Debakel, in dem die Schauspielerin sich an dem Autor rächt. Wohin sie ihre fiebrigen Augen auch richtete – überall waren Arme und Beine und purpurrote Perücken, und in einer Ecke lag Graf Bruga wie eine Mandoline, und der Graf hatte die Ohren gespitzt und lauschte angestrengt auf das Gurgeln der
Abflußrohre, auf den Fall fallenden Wassers, gebremst durch Eis und flüssiges Feuer und geronnenes Blut und murmelnde Veilchen. Sie war wie eine Schlafwandlerin, die immer wieder auf sich
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