Verrückte Lust
das schöne Rot auf ihren Wangen, das mit dem Schnee gekommen war, verblaßte, und ihre Haut sah aus, wie sie immer aussah: mehlweiß, seidig, schwer, matt. Mit ihren leuchtend roten Lippen und den leuchtenden Augen war sie wie ein Fiebertraum, und was sie sagte, trug ein Fieber in sich.
Von dem Tag, an dem der Schneesturm einsetzte, nämlich Lincolns Geburtstag, bis Washingtons Geburtstag stand Tony Bring nur aus dem Bett auf, um auf die Toilette zu gehen. Die Hämorrhoiden machten ihm zu schaffen. In der Schachtel mit der Salbe, die Hildred in der Apotheke gekauft hatte, fand sich ein Zettel, auf dem dieses Leiden in fünf Sprachen beschrieben war. Dort stand:
Hämorrhoiden
Hämorrhoiden sind Krampfadern, die durch eine Erweiterung der Venen rings um das Rektum entstehen. Die Ursache
hierfür sind meist Verstopfung und Darmkatarrh.
Hämorrhoiden können innerlich oder äußerlich sein. Beim Drücken kann ein Juckreiz auftreten. Das Sitzen im Sattel bereitet fast immer Schmerzen.
Unsere Behandlungsmethode Vermeiden Sie Speisen, die das Verdauungssystem reizen können, wie Wild, stark gewürzte Speisen, usw.
Essen Sie wenig Fleisch. Ernähren Sie sich hauptsächlich vegetarisch.
Vermeiden Sie Verstopfung, wenden Sie jedoch keine
starken Abführmittel wie Skammonium Aloe oder
Jalapenwurzel an. Machen Sie leichte Einlaufe mit Bourdaine oder, besser noch, mit Paraffinöl.
Anwendung
Bringen Sie mit Hilfe der Kanüle ein wenig Sedosol in das Rektum ein. Falls ein Juckreiz auftritt, reiben Sie die betroffenen Partien mit Sedosol ein. Die lindernde Wirkung tritt sofort ein. Bereiten Sie vor jeder Anwendung eine Lösung aus warmem, abgekochtem Wasser. Unser Produkt
ist auf wissenschaftlicher Basis völlig neu entwickelt. Es schmiert und fettet nicht und kann selbst mit kaltem Wasser entfernt werden.
So drehten sie ihn zweimal täglich auf den Bauch und
behandelten sein Rektum. Zwischen diesen Anwendungen
schmierten sie sein Verdauungssystem so gründlich und
gewissenhaft, daß er, wäre er eine Setzmaschine oder ein Dieselmotor gewesen, ein ganzes Jahr lang reibungslos
funktioniert hätte. Allerdings war er ein schwieriger Patient.
Anstatt ihnen für ihre Bemühungen dankbar zu sein, schrie und fluchte er. Er beklagte sich, weil das Eis zu schnell schmolz und schimpfte, weil sie ihm nicht vorlesen wollten. Er bat um Jerusalem von Pierre Loti, und sie brachten ihm Claude Farreres L’Homme Qui Assassina. Sie waren wieder damit beschäftigt, Arme und Beine zusammenzufügen, Perücken zu färben, Gelenke zu machen und Kleider für ihre Liliputaner-Schießbudenfiguren zu nähen. Den ganzen Tag bis spät in die Nacht arbeiteten sie, und dabei klopften und kratzten und pfiffen sie und sangen russische und französische und deutsche Lieder und kippten Wodkas und stopften sich mit Weißbrot und Kaviar und Stör voll. Sie drehten die alten Glühbirnen, die ein gelbes, kränkliches Licht gegeben hatten, aus den Lampen und ersetzten sie durch Tageslichtbirnen. Die Wirkung war gewaltig. Es schien ihm, als wäre sein Körper ein Haufen Splitter, als wären seine Nerven freigelegt und zerschunden. Er konnte spüren, wie die Venen in seinem Rektum pochten, wie das Blut Blasen schlug, als würde es von einem wilden Puls vorangetrieben. Und was interessierte ihn schon ihr wirres Gerede über Picasso und Rimbaud und den Comte de
Lautreamont? Sie redeten, als säßen sie schon auf der terrasse vor dem Dome. Sie hatten sogar schon den Tag der Abreise festgesetzt und stritten sich erregt darüber, mit welcher Schiffahrtslinie sie fahren und ob sie sich ein billiges Hotelzimmer oder ein Atelier mieten würden. Sie wußten jetzt schon, daß sie nur in großen Abständen baden würden, daß
»Camels« viel zu teuer sein würden und daß man für einen Sou nicht einmal einen Hosenknopf kaufen konnte.
Allein schon diese Haufen können einen nervös und reizbar machen; sie drücken einen zu Boden und geben einem das Gefühl, als würden einem die Eingeweide herausfallen. Sie können so verdammt unerträglich werden, daß der Gedanke, an den Handgelenken aufgehängt zu sein, ein regelrechter Genuß ist. Doch wenn noch hinzukommt, daß die Wohnung jeden Tag bis spät in die Nacht in eine Schreinerwerkstatt verwandelt wird und ständig Gebrabbel und Gläserklingen zu hören ist, kann man schon verstehen, daß einer den Verstand verliert.
Und Tony Bring benahm sich genau so, als hätte er eine Schraube locker. Er schrie vor
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