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Verrückte Lust.

Verrückte Lust.

Titel: Verrückte Lust. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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einhergehumpelt; nun plötzlich befahl man ihnen, sie wegzuwerfen. Und nicht das – man verlangte von ihnen sogar, an den Rand eines Abgrunds zu treten und sich hinunterzustürzen. Ohne Vorwarnung, ohne Vorbereitung. Nicht einmal ein Tropfen Weihwasser, um ein Wunder zu beschwören, kein Knochen durfte berührt werden, und es war nicht der leiseste Hauch einer Pest zu spüren. Mann und Frau saßen da, und ihre Knie berührten sich: Sie saßen einander gegenüber wie zwei feindliche Städte, die von jahrhundertelanger Fehde ausgelaugt sind. Es war, als wären sie Opfer einer schrecklichen Täuschung geworden, als wäre ohne vorheriges Abschlachten Frieden eingekehrt, als hätte die Natur selbst eingegriffen, hätte den Boden zwischen ihnen geöffnet und die Gegensätze zwischen ihnen aufgehoben. Es war völlig widernatürlich und verstieß gegen alle menschlichen Instinkte, einem komplizierten, greifbaren Problem einfach den Rücken zu kehren wie ein Hypnotiseur, der die Bühne verläßt, auf der sein Demonstrationsobjekt noch steif, kataleptisch und vollkommen hilflos in der Luft hängt. Morgen mochte ein ganzer Kontinent im Meer versinken; man konnte nicht sagen, ob das gerecht oder ungerecht war. Doch wenn eine Frau ein Ungeheuer geboren hatte und es selbst auf sich nahm, den Schädel dieses Kindes zu zerschmettern, dann war das eine andere Sache; dann war das ein Verbrechen gegen die Natur oder gegen die Gesellschaft, etwas, das – ob gerecht oder ungerecht – strafbar war. Die Gesellschaft hatte die Beziehungen zwischen den Menschen so kompliziert, hatte den einzelnen so eingebunden in Gesetze und Glaubenssätze, in Totems und Tabus, daß der Mensch zu etwas Unnatürlichem geworden war, zu etwas, das von der Natur getrennt war, zu einem Phänomen, das die Natur zwar hervorgebracht hatte, das ihr jedoch nicht mehr unterworfen war.

    Er ging mit Vanya den unteren Teil des Broadways entlang und dann über die Brooklyn Bridge. Sie bestand darauf, seine Tasche zu tragen; sie trug sie dankbar, wie ein Träger, der stolz darauf ist, die Ehre zu haben, einen großen Entdecker zu seinem Hotel begleiten zu dürfen, so stolz, daß er beleidigt wäre, wenn man ihm ein Trinkgeld anbieten würde.
     Hildred wollte nach Hause kommen, sobald sie fertig war.
     Sie kamen am Haus an, der große Entdecker und sein Träger, und stellten die Reisetasche in einer Ecke ab. Und jetzt? Wünschte der große Entdecker vielleicht einen Tee und Marmelade, durfte sie ihm eine Zigarette anstecken? Sie zog ihm die Schuhe aus und half ihm in ein Paar warme Pantoffeln, deckte ihn mit einem Bademantel zu und dämpfte das Licht. Tausend ungeforderte Liebesdienste…
     Hildred würde bald zurückkommen. Sie flüsterte es ihm zu, wie ein Kindermädchen, das sagt: »Mama ist bald wieder da.« Es ist ein Verbrechen, Kindern die Flasche zu geben. Ein Kind braucht die Mutterbrust. Moderne Mütter haben keine Brust oder binden sie ab. Trotzdem, eine Mutter ist eine Mutter; eine Flasche kann nie die Brust ersetzen.
     In der Zwischenzeit wird das Kind bei Laune gehalten vom Kindermädchen, das Märchen für es erfindet…
     Es war einmal eine Königin mit Haaren aus Gold und einem Hintern aus Elfenbein. Sie stammte vom Wendekreis des Steinbocks, der unterhalb des Äquators liegt. Ihre Zunge war aus Quecksilber, und sie betete fremdartige Götter an. Sie waren von handlicher Größe und angenehmem Gewicht, diese Götter; sie sammelte sie, wenn sie Spaß haben wollte, und versteckte sie in einem Sarg. Manchmal trug sie sie wie Perlen an einer Kette um den Hals. Oft, wenn sie einen kleinen Spaziergang machte, sagte sie: »In dem Sarg ist noch Platz für einen Gott.« Worauf sie sich, beim Klang göttergleicher Schritte, zu Füßen eines Fremden niederwarf und rief: »Du bist mein Gott! Laß mich dich anbeten – für immer… für immer!« Und weil sie zu impulsiv war, um auf wichtige Dinge zu achten, mußte sie gelegentlich feststellen, daß ihre Verehrung einem Ochsen oder einem Schwertwal galt.
     »Wo ist Vanya?« rief Hildred. Sie sprach mit einer eigenartigen Stimme, als stünde ihr Zwerchfell in Flammen, als stieße sie Rauch aus. Obwohl sie überall nachsah – unter der Badewanne, unter dem Wasserkasten der Toilette, unter der Spüle –, konnte sie keine Spur von Vanya entdecken. Doch ihre Sachen waren alle da, auch die schmutzige Wäsche, die sie mit Bedacht unter das Bett geschoben hatte. Und auch die Puppe war da und lag in der Ecke wie eine

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