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Verrückte Lust.

Verrückte Lust.

Titel: Verrückte Lust. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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alte Mandoline. Und Arme und Beine lagen herum, und Ärmel und Perücken, die in blauviolette Farbe getaucht worden waren. Es sah aus wie in einem Laboratorium, in dem ein Experiment stattfand – ein nicht zu Ende geführtes Experiment. Ein Heim, das alle Elemente von Poesie und Experimenten miteinander verband, in einem solchen Heim fehlt nichts außer Musik und Kindern. Von diesen beiden war Musik vielleicht schwieriger zu erzeugen. Da war natürlich die alte Mandoline, die Puppe, und da war die Spieldose im Frauengemach, die hübsch spielte, solange noch eine Walze darin war. Und da war die blutrote Harfe, aus der grüne Töne flossen, und die, wenn alle Saiten schwangen, eine Symphonie aus sizilianischen Monden spielte. Die Kinder würden zu gegebener Zeit schon noch kommen. Wenn Vanya betrunken war, wenn ihre Blase voll war, versprach sie, einen blonden Supermann zu gebären – obwohl nach den Vererbungsgesetzen Genies nur selten etwas anderes als Mittelmaß hervorbrachten. Von allen Träumen, die Hildred im Schlaf überfielen, war dieser Traum von dem klugen, blonden Baby mit einem Schuß Wikinger-Vitalität in seinem Blut der bizarrste und erstaunlichste. Dieses Kind wurde wieder und wieder geboren, immer bereits ausgestattet mit allen Zähnen und einer wundersamen Zunge. Es lispelte leicht, allerdings nicht, weil es einen angeborenen Sprachfehler hatte, sondern aus purem Eigensinn. Doch das war nichts angesichts der Weisheiten, die es von sich gab. Es waren keine Worte, die von seinen Lippen fielen, sondern Juwelen, die aus einem Sarg geschüttet wurden. Hin und wieder waren Knochen darunter – nie sehr viel, kaum ausreichend, sollte man meinen, für ein richtiges Skelett…
     Gegen Morgen klingelte das Telephon. Hildred schlüpfte in einen Kimono und rannte hinauf. Sie sprach so leise, daß es wie eine Liebkosung war. Er konnte sie kaum hören, obwohl er auf Zehenspitzen am Fuß der Treppe stand. »Ich kann nicht… Ich kann nicht…«, war alles, was er verstehen konnte.
     »Sie ist furchtbar betrunken«, sagte Hildred, als sie wieder im Bett lag. »Ich konnte sie kaum verstehen.«
     »Wo ist sie jetzt?«
     »Ich weiß es nicht«, sagte Hildred.
     »Und was wollte sie?«
     »Sie wollte, daß ich sie nach Hause bringe.«
     »Wie sollst du das machen, wenn du nicht weißt, wo sie ist?«
     »Eben.«
     »Ihr Pech!« sagte Tony Bring. »Sie geht vor die Hunde.«
     Darüber mußte Hildred so lachen – und sie lachte nur selten über irgend etwas, das er sagte –, daß eine der Adern an ihrem Hals platzte und tagelang angeschwollen blieb.

    2

    Jedermann wußte, wer die Nachtigall von Lesbos war, aber es war Vanya, die entdeckte, daß sie auch sowohl der achtzigste Asteroid als auch ein Kolibri mit einem feurig leuchtenden Schwanz war. Sie machte Gedichte auf den achtzigsten Asteroiden und auf Tauben, jene Zwillingsvögel, die pro Gelege immer nur zwei Eier legen. In den Sümpfen und Marschen des Wissens putzte sich Vanya wie ein Purpurreiher. Sie sprach von delphinoiden Cetaceen und Goldbarschen, von Asymptoten und Parabeln, von Sarasvati, der Göttin der Wissenschaft, von Froschlurchen und Lapithen.
     Drei Tage lang hielt sie ihnen andauernd Vorträge über die Weiße Kernfäule. Dies war eine Krankheit, die gewöhnlich nur Baumexperten kannten. Vanya eignete sich diese Kenntnisse an. Es gibt zahllose Krankheiten. Von dieser jedoch ging eine besondere Faszination aus. Sie wurde hervorgerufen durch einen bestimmten Pilz, der das Kernholz gewisser Laubbäume befiel. Wie der Schwertwal war dieser Pilz ein Mörder, nur daß seine Opfer nicht Robben oder Fische waren, sondern Bäume. Ein Laubbaum war absolut wehrlos gegen diesen Pilz. Sobald dieser sich im Kernholz des Stamms eingenistet hatte, gab es keine Rettung mehr; es hatte keinen Zweck, KohlenstoffBisulfit durch Bohrlöcher in den Stamm zu spritzen oder die Blätter mit Blei-Arsen-Lösung zu besprühen. Der Baum war zum Tod durch die Weiße Kernfäule verurteilt.
     Dieses Lied der Verderbnis, diese Baumsaga von Tod und Umgestaltung, machte sie eindeutig ganz blöde. Sie benahm sich wie ein wurmstichiges Schiff, das einem Sturm entgegenfährt. Während in ihrem Kopf der Wind heulte, tummelten sich unten die Würmer und verwandelten Holz in Sägemehl. Es hatte keinen Zweck, die Löcher mit Füllmasse zu verstopfen. Die Krankheit breitete sich immer weiter aus und ließ Löcher entstehen, durch die man einen Regenschirm stecken konnte.
     Eines

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