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Verschärftes Verhör

Verschärftes Verhör

Titel: Verschärftes Verhör Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Siler
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ihrer Stirn. Sie begriff, dass sie versagt hatte.
    Sie öffnete die Augen und sah Asiya, die neben ihr kniete. Die Dschellaba der Haushälterin war an der Brust mit Erbrochenem verschmutzt, ihre Hände waren gerötet und zitterten. Ihr Kopftuch war zurückgerutscht, das Haar hing wirr heraus.
    Manar erinnerte sich dumpf an die letzten Sekunden, bevor sie weggedämmert war. Wie sie versucht hatte, die Tabletten hinunterzuwürgen, bevor Schlaf und Lähmung sie übermannten. Wie viele hatte sie geschafft? Zehn? Fünfzehn? Egal, es waren nicht genug gewesen.
    Sie stemmte sich hoch und ergriff die Hand der Haushälterin. »Wer weiß es?« Plötzlich verspürte sie wilde Panik.
    »Niemand, Schwester«, versicherte Asiya. »Wir werden es niemandem erzählen.«

29
     
     
     
     
    Als Harry im Hof von Abdul Moussaouis Villa südlich des Parc de la Ligue Arabe saß, frischen Pfefferminztee trank und auf das Plätschern des Wassers im Basaltbrunnen und das sanfte Gelächter der unsichtbaren weiblichen Bewohner horchte, konnte er sich kaum vorstellen, dass eine Welt jenseits der fensterlosen Mauern existierte. Genau das war der Sinn dieser Architektur: den Luxus der Zivilisation von der öden Welt dort draußen zu trennen und die Familie und deren Gäste zu schützen. Dennoch hatte ihm die Undurchsichtigkeit des arabischen Lebens nie ganz behagt. Er wusste, dass hinter den verschlossenen Türen der Häuser bisweilen unerfreuliche Dinge geschahen und auch das Böse Zuflucht fand.
    Wie viele Menschen an ebendieser Stelle verschwunden waren und nur die Neige in ihren Teegläsern zurückgelassen hatten, wie viele das beruhigende Gurgeln des Brunnens gehört und es fälschlicherweise als Gnadenfrist gedeutet hatten, konnte Harry nur vermuten. Er war nicht naiv. Folglich ließ er sich auch nicht von Moussaouis freundlichem Lächeln und den Hermès-Pantoffeln einlullen und glauben machen, der Mann sei unbefleckt aus dem Grauen des früheren Regimes hervorgegangen.
    Einmal hatte sie ein südafrikanischer Waffenhändler bei einer Lieferung betrogen, worauf Moussaoui die marokkanische Geliebte des Mannes von der Geheimpolizei verhaften und zu Tode foltern ließ. Harry hatte Fotos von dem Mädchen gesehen – Moussaoui hatte sie überall verbreitet – und musste nun, da Moussaoui sich genüsslich eine frische Cohiba anzündete, an ihr Gesicht denken, die zugeschwollenen Augen, die schiefgedrückte Nase, die linke Wange mit den vier kleinen blauen Flecken, einer für jeden Knöchel.
    »Ich sage Ihnen das als Freund«, erklärte Moussaoui, als die Zigarre zu seiner Zufriedenheit glomm, »die Leute wissen, dass Sie hier sind. Pete Janson hat mich heute Morgen angerufen. Er kündigte mir Ihren Besuch an.«
    Morrow, dachte Harry. Nach all den Jahren besorgte Janson immer noch die Drecksarbeit für ihn. Er fragte sich unwillkürlich, ob Mustafa junior einen ähnlichen Anruf erhalten hatte. Rafas Name musste auf derselben Liste wie Moussaouis stehen.
    Auf einem der oberen Balkone erklang ein Geräusch, und Harry erblickte eine Asiatin in Dienstmädchenkleidung, die einen Stapel gefalteter Bettwäsche trug.
    Moussaoui lachte leise. »Ich lebe wie ein Pascha, nicht wahr? Manchmal ist es sogar mir peinlich.«
    Harry trank von seinem Tee und wünschte sich verzweifelt ein Glas Wodka herbei. »Der Junge«, sagte er. »Wir sprachen gerade über den Jungen.«
    »Ach ja, der Junge.« Moussaoui lehnte sich zurück und zog genüsslich an der Zigarre, bevor er eine aromatische Rauchwolke ausstieß. »Solche Fälle sind seltener, als Sie glauben. Mir fallen nur zwei oder drei ein. Zweifellos gab es noch mehr, die mir nicht bekannt sind. Wann wurde er gleich geboren?«
    »1983«, antwortete Harry. Das hatte er der Akte des Jungen entnommen. »Plus oder minus ein Jahr.«
    »Sie machen es mir nicht gerade leicht«, bemerkte Moussaoui.
    Harry versuchte zu lächeln. Alle hatten schmutzige Hände, mahnte er sich. Dieser Mann hatte das Mädchen auf dem Gewissen, als hätte er ihr persönlich die Nase gebrochen.
    »Ich werde ein paar Leute anrufen«, sagte Moussaoui. »Natürlich ganz diskret. Vielleicht ergibt sich etwas. Es dürfte höchstens ein paar Stunden dauern. Rufen Sie mich am späten Nachmittag an.« Er holte eine Visitenkarte aus der Tasche, stand auf und deutete zur Tür. »Kann mein Fahrer Sie irgendwohin bringen?«
    Harry überlegte.
    »Ja«, sagte er schließlich. »Ich möchte gern die blaue Moschee sehen.«
     
    Eine Stunde, höchstens zwei,

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