Verschärftes Verhör
eingeschlossen, hätten Interesse daran, es zu verhindern. Wird ein Gefangener zu Tode gefoltert, kann die öffentliche Meinung über den Krieg sehr schnell umschlagen.«
»Ich weiß nicht«, sagte Kat und versuchte vergeblich, Ordnung in die Fakten zu bringen. »Irgendetwas passt noch immer nicht zusammen.«
Harrys Blick wanderte wieder zu Jamal. »Tun Sie sich selbst einen Gefallen und hören Sie auf damit. Sie haben jetzt andere Sorgen. Was soll aus Ihnen und Jamal werden? Haben Sie einen Pass?«
Kat schüttelte den Kopf. Sie hatte das Hotel so eilig verlassen, dass sie ihre Tasche samt Pass in Kurtz’ Zimmer vergessen hatte.
»Auch gut. Sie brauchen ohnehin einen neuen. Ihnen ist doch klar, dass Sie womöglich eine Weile untertauchen müssen.«
Kat nickte, doch in Wirklichkeit hatte sie kaum über den nächsten Schritt nachgedacht. Ganz sicher hatte sie nicht damit gerechnet, dass sie nicht nach Hause zurückkehren könnte. Es war, als hätte man ihr einen Schlag in den Magen versetzt. »Was ist mit Jamal?«
Harry schwieg einen Moment. Beide waren sich darüber im Klaren, wie wenig ihre guten Absichten bisher genützt hatten und dass es diesmal kaum anders laufen würde. »Ich habe nachgedacht. Möglicherweise hat er noch Familie«, sagte Harry schließlich. »Falls seine Mutter wirklich eine politische Gefangene war, könnte sie verschwunden sein, ohne dass ihre Angehörigen überhaupt von dem Kind erfahren haben.«
»Hat Jamal Ihnen das erzählt? Von seiner Mutter, meine ich.«
»Nicht so ausführlich. Ich bin mir nicht sicher, wie viel er überhaupt weiß. Er erwähnte nur, der König habe seine Mutter in die Wüste gebracht. Als wäre es ein Privileg. So ist es damals gelaufen. Hassan II. ließ in der Wüste spezielle Gefängnisse für Dissidenten errichten.« Harry schloss die Augen, als wollte er etwas verdrängen. »Es waren furchtbare Orte.«
Kat zuckte zusammen – nicht wegen der Gefängnisse, sondern wegen ihrer eigenen Dummheit.
»Hat er Ihnen dasselbe erzählt?«
»Ja«, gestand sie. »Ich habe es damals nicht begriffen. Ich dachte, er hätte es sich ausgedacht, um den Verlust ertragen zu können.«
»Jedenfalls ist es durchaus denkbar, dass er Angehörige hat, die ihn aufnehmen würden.« Er schaute zum Fenster, durch das ein schmaler Streifen Morgendämmerung sichtbar wurde. »Ich kenne Leute, die uns helfen können. Mit einem Pass. Und mit dem Jungen.«
Du hast so oft gelogen, dass du die Wahrheit gar nicht mehr kennst, hatte Irene einmal zu ihm gesagt.
Sie hatte natürlich von Anfang an recht gehabt. Harry hatte damals keinen Wert auf die Wahrheit gelegt und nicht verstanden, was das ganze Theater sollte. Wurde man belogen, musste man eben auch lügen; das war doch kein Geheimnis.
Diese Lüge aber war anders gewesen.
Kat vermutete nicht als Einzige, die MEK könnten ihre Operationen auf das südliche Afghanistan ausgedehnt haben. In den Jahren nach dem 11. September und dem Sturz der Taliban wurde innerhalb der Geheimdienste immer wieder gemunkelt, dass die USA und die MEK in der Region zusammenarbeiteten. Es war ein offenes Geheimnis, dass Vertreter des Pentagons, darunter auch Morrows Chef, einen Regimewechsel in Iran forderten. Eine stillschweigende Partnerschaft mit dem MEK hätte ein perfektes Werkzeug geliefert, um die Region zu destabilisieren.
Harry wusste mit absoluter Sicherheit, dass bestimmte Gruppen in der CIA seit Jahrzehnten auf ein derartiges Programm drängten. Nur die Tatsache, dass die MEK offiziell als terroristische Vereinigung eingestuft wurde, hatte die Umsetzung verhindert. Ohne Aufsicht von oben hätten Morrow und die anderen in der Abteilung für besondere Planungen freie Hand. In der Tat wäre Harry sogar überrascht gewesen, wenn sie es nicht zumindest versucht hätten. Sollten die MEK in Afghanistan tätig sein, dann nur mit dem Segen bestimmter Leute im Verteidigungsministerium.
Das alles hatte er Kat allerdings nicht gesagt. Ich kann Ihnen versichern, dass es in Afghanistan keine MEK-Lager gibt. Nicht nur eine Lüge, sondern auch noch eine Geschichte, um sie glaubhafter zu machen. Es ist besser so, hatte er gedacht. Die Unwissenheit konnte ihr Leben retten und auch das des Jungen, wenn er schon nicht dazu in der Lage war.
Hatte Bagheri für Morrow gearbeitet?, fragte sich Harry, als er und Kat durch die Rue Chakib Arsalane zum Haupttor der Medina gingen. Es war noch früh, doch in den Gassen drängten sich schon die Menschen, und die Luft war
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