Verschleppt ins Tal Diabolo
Klößchen und die beiden
kommen nach.“
Tim nickte. Ihm behagte es
immer, mit Gaby allein zu sein. Und sei’s auch nur, dass sie zusammen zu der
Klinik radelten.
Gaby kicherte. „Klößchen muss
ja jetzt während der Pfingstferien jeden Mittag zu Hause lunchen (Mittagessen
einnehmen), wie er sich ausdrückt. Seine Eltern bestehen darauf, weil sie
ihn sonst so wenig bei sich haben.“
Tim grinste. „Lunch erster
Teil. Und Lunch zweiter Teil. Den ersten Teil bestimmt Frau Säuerlich. Also
kalorienarme vegetarische Kost und keine Schokolade. Zweiter Teil: Klößchen und
sein Vater schleichen sich zur Köchin in die Küche — sobald Frau Säuerlich
ihren Mittagsschlaf hält — und lassen sich von Amalie verwöhnen. Dann gibt’s
Schweinebraten, Klöße und Schokoladen-Mousse. Das sind die kleinen Geheimnisse
im Hause Säuerlich.“
„Frau Säuerlich ist
gertenschlank. Klößchen und sein Vater könnten rollen.“
„Klößchen hat mir versprochen,
dass er ab 16 schlank wird. Weil er sonst nie eine Freundin kriegt.“
Gaby lächelte. „Die Geschmäcker
sind zwar verschieden. Aber bei uns Mädchen steht schlank und sportlich nun mal
höher im Kurs.“
„Gilt umgekehrt genau so.“
„Heißt das“, fragte sie
verschmitzt, „du magst mich nur, weil ich schlank bin und gut schwimmen kann?“
„Ich mag dich, weil du mich
immer von deinem Walnuss-Eis kosten lässt. Nur deswegen.“
„Wusste ich’s doch.“ Sie stieß
ihm ihre kleine Faust gegen die Rippen.
Tim japste scheinbar nach Luft,
obwohl er den Mückenstich kaum gespürt hatte. An dem Laternenpfahl, neben dem
er gerade stand, ließ er sich zu Boden sinken, streckte alle viere von sich und
blieb liegen.
Ein älterer Mann verharrte im
Vorbeigehen.
„Ist dir nicht gut?“
„Meine Freundin hat mich zu
Boden geschlagen“, erklärte Tim.
„Hau doch zurück.“
Sofort war Tim auf den Beinen.
„Na, hören Sie mal! Sind Sie so einer? Mädchen und Frauen schlägt man nicht!
Das merken Sie sich gefälligst!“
„War nur ein Ratschlag.“ Der
Mann ging weiter und schüttelte den Kopf.
Gaby sah ihm nach. „Dem macht
das Leben nicht viel Spaß. So was von Griesgram. Wahrscheinlich seit 50 Jahren
verheiratet — und davon ein halbes Jahrhundert Kriegszustand.“
„Meine Eltern hatten nur wenige
Jahre. Aber ihre Ehe war wunderbar. Deshalb hat Mütterchen so lange gebraucht,
um sich wieder auf einen Mann einzulassen.“
„Geht das überhaupt? Wenn es
vorher die ganz große Liebe war?“
Tim hob die Schultern. „Ich
hoffe, dass wir beide nie in diese Situation kommen, sondern immer zusammen...
äh... Fahren wir erst mal zu deinem Vater! Deine Eltern lieben sich ja auch wie
am ersten Tag. Und deine Mutter fährt jeden Abend zur Klinik.“
„Ich glaube, die Liebe meiner
Eltern ist gewachsen. Und wächst immer noch.“
Tim schwang sich auf sein
Rennrad. „Oskar bleibt zu Hause?“
„Heh, Häuptling! Schon mal in
einem Krankenhaus gewesen? Dort sind Hunde nicht erlaubt.“
„Wie konnte ich das vergessen.“
Sie fuhren los, wählten
Seitenstraßen, um nicht ständig Autos neben sich zu haben, benutzten Radwege,
wo immer es sie gab, und ließen sich Zeit. Sie fuhren durch die Innenstadt,
durch die südlichen Viertel und pausierten an einem Kiosk in der
Feuchtwiesen-Straße, um Mineralwasser zu trinken. Dort trafen sie einen
externen Klassenkameraden und Dennis sprach Tim auf das Zeitungsfoto an, auf
die Verwechselung mit dem Sohn des Oberbürgermeisters. Als Tim und Gaby die
Zufahrt — eine lange gewundene Landstraße — zur Stadtrand-Klinik erreichten,
war es 13.22 Uhr.
Die Straße — früher der
Autobahn-Zubringer — passte sich dem hügeligen Gelände an und verlief in lang
gestreckten Kurven. Zu beiden Seiten wechselten sich Felder mit kleinen
Wäldchen ab. Auf der Straße reichte der Blick nicht weit. Die bewaldeten Kurven
verstellten die Sicht.
Kein Fahrzeug kam ihnen
entgegen, kein Fahrzeug wollte in dieselbe Richtung. Mittägliche Stille lag
über der Landschaft. Auch die Vögel hielten Siesta ( Mittagsruhe ).
Eigentlich, dachte Tim, ist nur der Wind zu hören, wenn er hin und wieder in
den Blättern raschelt. Und, natürlich, das Geräusch unserer Reifen.
Er drehte den Kopf über die
Schulter. Gaby fuhr im Windschatten hinter ihm, war dicht an seinem Hinterrad.
Ihre blauen Augen unter den dunklen Wimpern lächelten ihn an. Der Wind
strubbelte ihre Ponyfransen.
„Fahre ich dir zu schnell,
Pfote?“
Sie lachte. „Soll ich
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