Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
nationalen Gegensätze vor. Er berichtet von Spannungen unter den Slowaken, und als Siebenbürger ist er mit der Lage der rumänischen Volksgruppe besonders vertraut. Seine Beschreibung der armen rumänischen Bergbauern ist von Sympathie geprägt, und selbst dem Politiker Aurel Timişan, einem umgänglichen, notfalls aber auch zynisch handelnden Anwalt, versagt er die Anerkennung nicht: Still verrichtet dieser Mann sein Werk – ein Bürger und Intellektueller, der keine Fahnen schwenkt und keine bombastischen Sprüche klopft, dafür aber mit Hartnäckigkeit die Ziele seiner Nation verfolgt. Bánffy registriert auch die neuen, sich zu Wort meldenden Kräfte innerhalb der ungarischen Gesellschaft: die von der erstarkenden Sozialdemokratie vertretene Arbeiterschaft, die sich nach und nach bildenden Parteien der Agrarbevölkerung und die politischen Lebenszeichen der jungen und radikalen Generation des städtischen Bürgertums. Tief bekümmert befasst er sich – man denke an den Verlauf des Székler Kongresses in diesem Band – mit der Landflucht und der Auswanderung, die zwischen 1900 und 1910 in Ungarn zum Verlust von rund einer halben Million Einwohner führte. Bitter ironisch vor allem lesen sich die Bemerkungen darüber, dass die große Mehrheit der politischen Klasse die erwähnten Phänomene als »nicht ungarisch« oder »unernst« abtut und dass derjenige den meisten Applaus erntet, der als Antwort auf die Not der Siebenbürger Bauernbevölkerung eine Reihe blumiger nationalistischer Phrasen bereithält.
Und dann noch eine Drohung, die ständig in der Luft hing: die Pläne des Thronfolgers Franz Ferdinand. Ob der Erzherzog die Monarchie zu föderalisieren oder zentralistisch unter seine Herrschaft bringen wollte, ob und wie er allenfalls eine Mischung der beiden Vorstellungen anstrebte, bleibt bis zum heutigen Tag unklar. Wohlbekannt ist dagegen, dass er die Ungarn als »rebellisches Pack« hasste und entschlossen war, ihrer Vormachtstellung, die dank dem Dualismus bestand, gleich nach seiner Thronbesteigung – wenn es sein sollte, mit militärischer Gewalt – ein Ende zu setzen. Irritierend präsent ist der Thronfolger im Roman durch die Figur seines Vertrauten, des Grafen Slawata. Dessen Vorbild soll der Botschafter und spätere Außenminister Ottokar Czernin gewesen sein, tatsächlich ein Mann, der zu Franz Ferdinands »Werkstatt« im Wiener Schloss Belvedere gehört hatte. Bánffy wiederum war bei all seiner Kritik an seinen Landsleuten national- und standesbewusster Magyare genug, um von den Absichten des Thronfolgers nicht nur für die Ungarn, sondern für die gesamte Monarchie das Schlimmste zu befürchten.
Die historisch-gesellschaftliche Dimension von Bánffys Werk bildet, wie schon vermerkt, bewusst das Hauptthema dieses Nachworts. Zumindest einige Anmerkungen über die literarischen Qualitäten der »Siebenbürger Geschichte« sind indessen zuletzt doch fällig. Der Befund, von dem hier die Rede war, wiegt schwer, aber Bánffy legt ihn nicht in der Form einer Abhandlung vor, sondern als organischen Teil eines mit prächtiger Erzählfreude dargebotenen Romans. Seine Fähigkeit zum Entwurf grandioser Landschaftsbilder bewährt sich in diesem zweiten Band ungebrochen, und Gleiches gilt, wenn er mit liebevoller Pflege der Einzelheiten, nicht selten aber auch bloß mit knappen Mitteln Stimmungen und Menschen spür- und greifbar zu machen versteht. An seinen Figuren, unter denen sich manch ein faszinierendes Original findet – Absolon, der Asienforscher, der kauzige Baron Gazsi Kadacsay, der bärbeißig gütige Edelmann Kajsza und seine taube Frau – an ihnen und vielen anderen ist ein Zug besonders bemerkenswert. Zwar verheimlicht Bánffy nicht, wem seine Sympathie und wem seine Abneigung gilt, aber selten verwirft er eines seiner Geschöpfe ganz; sein Menschenbild ist vielschichtiger und gerechter. Graf Slawata, ein kalter Techniker der Macht, unterscheidet sich von den ungarischen Herren durch seinen wohltuenden bürgerlichen Puritanismus, dem widerlichen Winkeladvokaten Ázbej bescheinigt Bánffy immerhin Scharfsinn und Ordnungsliebe, der korrupte Abgeordnete Zsigmond Boros bewahrt bei seinem Selbstmord mutige Haltung, und selbst Pál Uzdy, der Ursprung so vielen Unglücks, zeigt zuletzt, als er dem Wahnsinn verfällt, menschliche Gefühle der Selbsterkenntnis, die unser Mitleid erregen.
Der erste Band von Bánffys Trilogie erschien 1934, der zweite 1937. Wirft der Autor einen Blick zurück im
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