Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
machte ich den Versuch. Dabei hatte ich alles durchdacht. So wie diesmal. So wie bei dem, was ich Dir jetzt zu sagen habe und von Dir wünsche.«
»Wen Du heiraten sollst? Ich will es Dir sagen. Die kleine Lili Illésváry. Sie ist in Dich verliebt. Ja, ganz gewiss. Auch Dir gefällt sie einigermaßen. Selbst die Familie befürwortet die Idee, sonst hätte man Dich nicht so viele Male eingeladen. Sie ist ein hübsches, gesundes Mädchen, würdig, Dir einen Sohn zu schenken, wenn ich es schon nicht habe tun können …«
»Mir würde das Ruhe verschaffen. Habe ich die Verantwortung im Falle Uzdys auf mich genommen, so könnte ich sie im anderen Fall nicht tragen: dass Du ohne Familie leben solltest. Ich müsste eine andere Lösung suchen – jene, die ich in Venedig im Sinn hatte. Auch sie würde mich befreien. Aber das kannst Du nicht wollen … So wenig wie das Bisherige … dass wir beide weiterhin so … Nein! Wir waren dem Garten Eden sehr nahe. Wir standen auf der Schwelle. Wir haben alle Träume gesehen, die er bot. Den Glanz, die reiche Verheißung. Das Tor ist zugefallen. Wir können nicht als erniedrigte Bettler ins Dunkel zurück. Nein, das soll nicht sein!«
Viel weiter unten stand noch eine einzige Zeile: »Zuvor will ich Dich nicht mehr treffen!«
Der Brief war zur Mittagszeit gekommen. Mittlerweile herrschte schon längst tiefe, abendliche Dunkelheit. Bálint, im Fauteuil zurückgelehnt, verharrte trotzdem immer noch vor dem Fenster des Hotelzimmers. Wie von einem Hieb benommen, so saß er da.
Die Bogenlampe am Donauufer beleuchtete die Zimmerdecke, sie warf ein breites Lichtviereck darauf, in dessen Mitte der Fensterrahmen ein großes, schwarzes Kreuz zeichnete. Ihm schien, er sehe aus der Tiefe sein eigenes Grabkreuz. Der Brief war seiner Hand entglitten.
Die Zimmertür öffnete sich. Kleine, trippelnde Schritte nahten. Róza Abády war hereingetreten, doch der Sohn hatte sie nicht bemerkt. Er kam erst zu sich, als die Mutter einen Stuhl neben ihn hinstellte und ihm – bereits sitzend – die winzige, runde Hand auf den Arm legte.
»Ich bin’s«, sagte sie mit einem milden Lächeln, »ich bin heute Mittag angekommen. Man hat mir gesagt, du seist zu Hause, also wollte ich bei dir hereinschauen …«
Sie sprach in einem so natürlichen Ton, wie wenn sie sich gestern getroffen hätten, wie wenn nichts, rein gar nichts zwischen ihnen vorgefallen wäre. Ihre leicht hervortretenden Augen, in denen sich Mitleid und Besorgnis spiegelten, streiften den Sohn prüfend; doch auch dabei ließ sie Vorsicht walten, um ja nicht zu erkennen zu geben, dass es der Fall Uzdy war, der sie zur Reise veranlasst hatte. Die Nachricht, dass man Pál Uzdy in das grün gedeckte Haus eingeliefert habe, verbreitete sich natürlich in der Stadt wie ein Lauffeuer. Frau Abády fiel gleich ihr Sohn ein.
Jede Möglichkeit zu der verwünschten Eheschließung war nun versperrt! Dies bereitete ihr Freude, doch ihr war klar, dass die Nachricht für Bálint eine entsetzliche Enttäuschung bedeutete. Dieser Gedanke ließ ihre Freude gleich verblassen. Sie musste unverzüglich zu ihrem Sohn reisen, bei ihm sein, ihn, wenn irgend möglich, trösten – freilich nicht mit Worten, die ja bestimmt wertlos sein würden, sondern indem sie ihn wieder annahm und mit ihrer Liebe umgab. Die allein verbrachten zweieinhalb Monate, das quälende Bewusstsein, den Sohn für immer verloren zu haben, hatten ihren Klein-Königin-Dünkel ohnehin aufgerieben. Sie ergriff darum die erste Gelegenheit, die sich zu einer Versöhnung bot, ohne sich erniedrigen zu müssen.
»Ich reise nach Abbazia. Letztes Jahr war es dort sehr angenehm. Es trifft sich auch gut, dass es in der Nähe ist, so kann ich dich manchmal doch sehen. Nicht wahr, du kommst im Winter einige Male vorbei? Nein, du brauchst mich dorthin nicht zu begleiten. Ich habe schon gelernt, allein zu reisen, ich bin nicht mehr so ungeschickt.«
So plapperte sie über leichte Themen ohne jede Verbindung zum Drama, das, wie sie spürte, den Sohn zerriss. Sie fügte hinzu, dass sie etwa zehn Tage in Budapest zu bleiben gedenke, stellte dies aber auch so dar, als geschehe dies nicht um Bálints willen, sondern weil sie einige ärztliche Untersuchungen nötig habe. Das Licht zündete sie nicht an. In der Helligkeit wäre es unmöglich, einander so nahe zu kommen; nur im Dunkel konnte sie streichelnd über das Haar ihres Sohnes fahren, und auch Bálint brauchte seine trauernde Miene hinter keiner Maske
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