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Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Titel: Verschwundene Schätze: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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Provinzpolitiker eifrig diskutieren lässt, auch einen Rückblick auf die Geschehnisse in der ersten Hälfte des gleichen Jahrs. »Die Schrift in Flammen« führt den Leser bis zum Spätsommer 1906, und der vorliegende zweite Band, »Verschwundene Schätze«, umfasst die danach folgende Zeitspanne bis zum Winter 1909. Halten wir fest, dass die politisch-historischen Teile der Handlung, die Bánffy mit fiktiven, freilich nicht vorbildlosen menschlichen Schicksalen verwebt, in der Wiedergabe der Fakten recht genau sind. Die Wahlniederlage der Liberalen, Franz Josephs Versuch, die Macht einem Kabinett ohne Mehrheit anzuvertrauen, die Bildung schließlich einer aus »48-ern« und abgefallenen »67-ern« gebildeten Regierungskoalition, die mit ihren nationalistischen Schritten und Sprüchen unter den Nicht-Magyaren des Königreichs viel böses Blut macht, sonst aber wenig ausrichtet, da sie in einem geheimen, mit dem Herrscher geschlossenen Pakt auf ihre radikalen Programmpunkte von vornherein verzichtet hat – all dies ist von Bánffy getreu wiedergegeben.
    Mit dem Zerfall der Koalition Ende 1909 klingt der zweite Teil der Trilogie aus – in düsterer Stimmung, ob es sich um Bálint Abády handelt, die unglückliche Hauptfigur des Romans, oder um die Befindlichkeit des Landes. Was Bánffy der ungarischen Politik, ja der ungarischen Öffentlichkeit zum Vorwurf macht, ist die Leichtfertigkeit, mit der sie die Geschehnisse jenseits der eigenen Grenzen unbeachtet lässt (während die Gegner an Zahl und Kraft zunehmen und der Ring der Entente sich um die Zentralmächte schließt). Ebenso beklagt er die verlorenen, mit nutzlosen parlamentarischen Scharmützeln zugebrachten Jahre, in denen die Stärkung der Wehrkraft der Monarchie verpasst wurde. Unter allen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zollt Bánffy einem einzigen Mann Anerkennung: István Tisza. Der liberale Tisza, der wiederholt das Amt des Ministerpräsidenten bekleidete, war nach Bánffys Meinung einer der wenigen, welche die Bedrohung des Reichs erkannten und an der engen Verbindung mit Österreich unbedingt festhielten, aus der Erkenntnis, dass sich Ungarns Integrität und Stellung im Reich nur innerhalb der Monarchie erhalten ließ.
    Der Ausgleich von 1867 hatte Ungarn in der Tat eine wohl über Gebühr starke Position verschafft. Stürmischer wirtschaftlicher Aufbruch, ein sich rasch vollziehender Modernisierungsprozess, trugen im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zum neu gewonnenen Selbstbewusstsein und zur Selbstsicherheit der ungarischen Oberschicht bei. Das Millennium der Landnahme der Ahnen im Karpatenbecken tausend Jahre zuvor feierte der ungarische Staat 1896 mit technischen Errungenschaften wie der Eröffnung einer Untergrundbahn in Budapest, der ersten auf dem europäischen Kontinent, und zugleich rückwärtsgewandt mit einer theatralisch historisierenden Pracht ungarischer Adelskostüme, die damals schon anachronistisch wirkten. Noch aber lebte man in jener »glücklichen Friedenszeit«, die in späteren Jahrzehnten unzählige von Krieg und Elend heimgesuchte Mitteleuropäer so oft und so gern beschwören sollten.
    Die ersten Risse in diesem vermeintlich so sicheren und festgefügten System zeigten sich offen zu der Zeit, in der Bánffys Roman spielt. Der ungarische Staat war liberal, aber nicht demokratisch. Das aus 1874 stammende Wahlgesetz mochte zur Zeit seiner Verabschiedung noch im Rahmen der europäischen Norm liegen, galt aber zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts schon als schwer rückständig. Nur rund ein Viertel der männlichen Bevölkerung bestimmte die Parlamentsabgeordneten, weil sich die Gewährung des Wahlrechts nach den Vermögensverhältnissen und dem Bildungsstand richtete. Die Forderung nach allgemeinem Wahlrecht ertönte immer lauter und galt auch in Wiener Sicht als ein Mittel, mit dem sich die ungarische politische Klasse unter Druck setzen ließ. Der in Budapest betonte Standpunkt, dass große Volksmassen namentlich in den von Nationalitäten bewohnten Gebieten ungeschult und sogar Analphabeten seien, denen darum von heute auf morgen keine vollen Bürgerrechte gewährt werden könnten, enthielt Wahrheit, diente aber doch dazu, die politische und wirtschaftliche Vorherrschaft der Magyaren zu sichern. Nur 54,5 Prozent der Bevölkerung des Königreichs (Kroatien nicht gezählt) waren laut der Volkszählung von 1910 Ungarn.
    Bánffy führt in seinem großen Gesellschaftsbild die innerhalb des Königreichs aufbrechenden

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