Versprechen der Nacht
seit dem Tod meiner Eltern hatte, sondern der, der wenig später begonnen hatte und mich öfter heimsuchte, als mir lieb war. Dieses Mal schien alles noch viel lebendiger, so real, als könnte ich alles darin mit Händen greifen und berühren.
Ein sonnenheller Himmel. Glitzernder azurblauer Ozean. Und ich, die ich hoch über ihm schwebte, von einer sanften Brise getragen zu einem unendlichen Horizont glitt.
Schlagartig war ich hellwach, zitternd und atemlos.
So lief das immer ab. Allein schon der Gedanke ans Fliegen jagte mir Todesangst ein. Denn das war unnatürlich, ob in den dröhnenden, heute obsoleten Metallmaschinen der Vergangenheit oder so, wie die ganz seltenen Exemplare der Sonderbaren es taten, die zum Fliegen nicht auf die Erfindungen der Menschen angewiesen waren. Fliegen war etwas, was ich nie getan hatte und auch nie tun wollte.
Ich versuchte verzweifelt, das beunruhigende Fluggefühl loszuwerden, setzte mich im Fahrersitz des Lasters auf und griff nach der Armbanduhr, die ich am Lenkrad befestigt hatte. Es war ein uraltes Ding zum Aufziehen, die einzigen Zeitmesser, die auch im posttechnologischen Zeitalter noch funktionierten. Ich sah nach dem Zeiger. Seine Spitze hatte die Form eines Handschuhs, und er war an einer lächelnden schwarz-weißen Maus befestigt.
»Scheiße.« Ich hatte über zwei Stunden geschlafen.
Im Laster war alles still. Keinerlei Bewegung hinten im Laderaum, und keine Spur von den Leuten meines Kunden, die kommen und mir meine Sonderbaren-Ladung abnehmen sollten.
»Wie lange dauert das denn noch, bis ich meinen Lohn kriege und hier verschwinden kann!«, knurrte ich und kletterte aus meinem Laster, um hinten nach dem Rechten zu sehen.
Ich hörte das trockene, würgende Keuchen, sobald ich die Türen öffnete.
»Bist du okay?«, fragte ich, kletterte hinein und trat vorsichtig auf die abgedeckte Kiste zu. Es kam keine Antwort, nur ein weiterer Hustenanfall, gefolgt von einem schrecklichen Röcheln. »Bist du verletzt da drin?«
Mir wurde klar, dass ich nicht einmal seinen Namen kannte – nicht, dass ich ihn kennen musste. Auch war es nicht mein Job, nach meiner Wasserflasche zu rennen, als er begann, trocken zu würgen, aber das war genau, was ich tat. Ich sagte mir, dass es das einzig Vernünftige war, um sicherzugehen, dass Mr Ehre-und-höherer-Zweck lang genug am Leben blieb, damit mein Kunde ihn töten konnte, wie er selbst es ja unbedingt haben wollte.
Ich kam zurück und sprang in den Laderaum. Jetzt klang sein Röcheln nach definitiv lebensbedrohlichem Wassermangel. Mit der Feldflasche voller Wasser eilte ich zu der Kiste und zerrte eine Ecke der Plane los. »Ich habe Wasser. Du musst was tri…«
Meine Stimme versagte, als ich die Plastikplane von der Vorderseite der hölzernen Frachtkiste hob. Durch einen schmalen Spalt zwischen den genagelten Kistenbrettern sahen mich feuchte goldene Augen an. Ihr durchdringender, intensiver Blick verblüffte mich, eine unwillkommene Hitze schoss mir zwischen die Beine. Genauso schnell waren die goldenen Augen wieder fort, als er sich in seiner dunklen Zelle umdrehte und sein Röcheln noch schlimmer wurde.
»Bleib weg«, keuchte er aus den Schatten. Seine Kehle klang wund und heiser, so trocken wie Asche. »Lass mich. Das geht vorüber.«
Ich murmelte einen leisen Fluch. Mir war klar, dass er in einem weitaus schlimmeren Zustand war, als er mich glauben machen wollte. Ich ging um die Kiste herum und zog dabei die Plane ganz herunter. Die wenigen Lücken zwischen den Kistenbrettern waren so eng, dass nicht einmal mein kleiner Finger durchgepasst hätte. Keine Chance, ihm die Feldflasche zu geben, ohne die Kiste aufzubrechen. Und das kam nicht infrage.
»Warte einen Moment«, sagte ich. »Ich hab eine Idee.«
Ich warf mir den Riemen der Feldflasche über die Schulter, zog mich an der Kiste hoch und kletterte hinauf. Ich nahm die Flasche vom Rücken und öffnete den Verschluss. Unter mir folgten seine glänzenden zitrinfarbenen Augen durch die schmalen Spalten im Holz jeder meiner Bewegungen. Jedes Nervenende in meinem Körper warnte mich kribbelnd, dass direkt unter mir etwas Sonderbares und Mächtiges lauerte.
»Komm näher, und mach den Mund auf«, sagte ich zu ihm, mehr Befehl als Bitte. »Hör auf, so vornehm zu tun, und trink was.«
»Nisha.« In den Schatten unter mir war seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern. »Du kennst die Regeln.«
Ich schluckte, erinnerte mich nur allzu genau an die Instruktionen, die ich
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