Versprechen eines Sommers
eindeutig bereute er, diesen Schritt gemacht zu haben. Sie konnte es ihm nicht verdenken. Als sie ihn zu dem Ort gezerrt hatte, an dem sein Vater einst wohnte, hatte er vermutlich gedacht, sie tue es, um ihn zu quälen. Trotzdem konnte sie immer noch die Frage hören, die er ihr gestellt hatte. Denkst du jemals noch an uns, Lolly?
„Nicht mehr, als ich an alles andere denke, was vor neun Jahren gewesen ist“ , hatte sie geantwortet. Das war eine so große Lüge gewesen, dass die Worte eigentlich ihre Zähne hätten schwarz verfärben müssen.
„Was glaubst du, worüber sie reden?“ Dare gesellte sich zu Olivia. „Es sieht zur Abwechslung mal eher nach einer Unterhaltung als nach einem Streit aus.“
„Wer, wie? Zumindest nimmt Nanas Pavillon langsam Züge an“, erwiderte Olivia.
Nachdem sie den Männern eine Weile zugesehen hatten, entschieden sie, auf die Insel hinaus zu paddeln und ihnen etwas zu Essen zu bringen. Dare stellte ein unglaubliches Picknick zusammen. Sandwiches, weiße Trauben, Mokka-Brownies, Limonade. Sie tat alles mit dieser gewissen Eleganz, mit der sie anscheinend schon auf die Welt gekommen war. In der Camp-Küche lagerten ausreichend Picknickkörbe, und sie wählte einen klassischen aus geflochtener Weide, der mit einem karierten Tuch ausgekleidet war. Sie kamen gerade rechtzeitig auf der Insel an, um zu sehen, wie Freddy sein T-Shirt auszog. Dare stieß ein kleines, sehnsüchtiges Wimmern aus.
„Er hat uns bestimmt kommen sehen und das mit Absicht gemacht“, sagte Olivia, die Freddys Eitelkeit nur zu gut kannte. Was ihm an Größe mangelte, machte er mit körperlicher Fitness wieder wett. Seine Arm- und Bauchmuskeln waren durch eine Reihe täglicher Übungen, die unter anderem eine obszöne Anzahl von Liegestützen beinhaltete, sehr gut ausgebildet.
Als sie näher herankamen, trocknete sich Freddy Brust und Unterarme mit seinem Shirt ab.
„Nun ja, vielleicht auch nicht“, sagte Olivia leicht angewidert.
Er schüttelte das T-Shirt aus und hängte es an einen Ast.
„Definitiv nicht“, bestätigte Dare.
Gedankenverloren musterte Olivia ihre Cousine. Dare schien von Freddy sehr angetan zu sein. Sie wollte gerade etwas in der Richtung sagen, als Connor in Sicht kam, einen Stapel Bretter auf der Schulter balancierend.
Ihr eigenes sehnsüchtiges Wimmern war nicht ganz so klein.
Dare warf die Leine um die Klampe auf dem Dock. „Also bist du nach all den Jahren immer noch verrückt nach ihm, ja? Nach allem, was er dir angetan hat?“, fragte sie.
„Ich bin jetzt ein anderer Mensch. Ich wünsche mir so oft, dass ich die Dinge in jenem Sommer anders gehandhabt hätte.“
„Tja, hier ist deine Chance, es besser zu machen. Die bekommen nicht viele Leute.“
Freddy sah sie über das Dock gehen. Als er den Picknickkorb in Dares Hand erblickte, fasste er sich in einer dramatischen Geste ans Herz und sagte: „Ich glaube, ich bin verliebt.“
„Ein Mann der einfachen Bedürfnisse“, bemerkte sie.
„Einfach und wenig. Eine herzhafte Mahlzeit und ein williges Weib. Mehr braucht es praktisch nicht.“
„Dann ist heute dein Glückstag. Geh dir die Hände waschen und zieh dir dein T-Shirt wieder an.“
Olivia spürte Connors Blick auf sich, als sie den Flirt zwischen Dare und Freddy beobachtete. Sie nahm zwei kalte Flaschen Limonade aus dem Kühler und reichte ihm eine.
„Ihr habt eine Menge geschafft“, sagte sie.
„Komm, ich zeig’s dir. Pass auf, wo du hintrittst.“ Er streckte seine Hand aus, und vor ihren Augen erschien ein Bild von ihm vor vielen Jahren, an dem letzten Abend, an dem sie ihn gesehen hatte, als er herausgeputzt vor ihr stand und sie zum Tanzen aufforderte. Sie blinzelte, und das Bild verschwand. Sie war wieder in der Gegenwart. Er war der Connor Davis des Heute, in Levi’s und einem T-Shirt und mit einem Bandana, das aus seiner hinteren Hosentasche hing.
Sie schaute kurz auf seine Hand und fragte sich, ob sie alleine durch seine Berührung dahinschmelzen würde. Vielleicht, dachte sie. Viel fehlte ja nicht mehr.
Sie nahm seine Hand, und es war genauso wie an dem Tag, an dem er sie in seine Arme gezogen hatte. Eine besondere, unwiderstehliche Wärme durchflutete sie. Es war kein Gefühl, dem sie vertraute oder das sie unbedingt haben wollte, aber leugnen konnte sie es auch nicht.
Er zog sie auf die achteckige Plattform hinauf, die er und Freddy gebaut hatten. Sie legte ihren Kopf zurück und schaute hinauf zu den noch freiliegenden Dachsparren.
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