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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Obgleich er sich längst, selbst schon, bevor er Elinor kennengelernt hatte, über ihre Unwissenheit und ihre oft engstirnigen Ansichten klar gewesen war, hatte er alles gleichermaßen ihrer mangelnden Bildung zugeschrieben; und bevor er ihren letzten Brief erhielt, hatte er sie immer für ein wohlgesinntes, gutherziges und ihm herzlich zugetanes Mädchen gehalten. Allein diese Überzeugung hatte ihn daran hindern können, eine Verlobung aufzulösen, die, lange bevor ihre Entdeckung ihm den Zorn seiner Mutter zuzog, für ihn eine ständige Quelle der Unruhe und des Bedauerns gewesen war.
    »Ich hielt es für meine Pflicht«, sagte er, »ihr – als mich meine Mutter verstoßen hatte und ich allem Anschein nach ohne einen Freund in der Welt dastand, der mir helfen konnte – unabhängig von meinen Gefühlen die Wahl zu lassen, ob sie die Verlobung aufrechterhalten wollte oder nicht. In einer solchen Lage, in der es nichts zu geben schien, das die Habsucht oder Eitelkeit eines menschlichen Wesens verlocken könnte, wie konnte ich da, als sie so ernsthaft, so nachdrücklich darauf bestand, mein Schicksal zu teilen, wie immer es auch sein würde, annehmen, daß etwas anderes als die selbstloseste Liebe sie dazu bewog? Und selbst jetzt kann ich nicht begreifen, was sie veranlaßte oder welchen eingebildeten Vorteil es ihr hätte bringen können, an einen Mann gefesselt zu sein, für den sie nicht die geringste Zuneigung empfand und der nur zweitausend Pfund auf der Welt besaß. Sie konnte doch nicht vorhersehen, daß ich von Colonel Brandon eine Pfründe bekommen würde.«
    »Das nicht, aber sie mochte vermuten, daß doch einmal etwas für dich Nützliches geschehen würde, daß deine Familie vielleicht mit der Zeit doch nachgeben würde. Auf jeden Fall verlor sie nichts damit, wenn sie die Verlobung aufrechterhielt |400| , denn sie hat ja bewiesen, daß sie weder ihre Neigungen noch ihre Handlungen behindert hat. Diese Verbindung war auf jeden Fall eine respektable und gewann ihr vermutlich Ansehen unter ihren Freunden und Verwandten; und wenn ihr nichts Günstigeres begegnete, wäre es zumindest besser für sie gewesen, dich zu heiraten, als ledig zu bleiben.«
    Edward war selbstverständlich sofort überzeugt, daß nichts natürlicher sein konnte als Lucys Verhalten und nichts offensichtlicher als ihre Beweggründe dafür.
    Elinor schalt ihn – so heftig, wie Damen stets die Unklugheit schelten, die ihnen selbst schmeichelt   –, daß er soviel Zeit in Norland mit ihnen zugebracht hatte, wo er sich doch seines eigenen Wankelmuts bewußt gewesen sein mußte.
    »Dein Verhalten war gewiß sehr unrecht«, sagte sie; »von meiner eigenen Überzeugung will ich gar nicht reden, aber unsere Angehörigen waren dadurch alle verleitet worden, etwas zu glauben und zu erwarten, was nach deiner damaligen Lage niemals hätte sein können.«
    Er konnte dagegen nur vorbringen, daß er sein eigenes Herz nicht kannte und er damals dem Irrtum unterlag, sich durch seine Verlobung sicher zu fühlen.
    »Ich war so einfältig zu glauben, es könne, weil ich einer anderen Treue geschworen hatte, keine Gefahr darin liegen, mit dir zusammenzusein, und das Bewußtsein, daß ich verlobt war, würde mein Herz so sicher und unantastbar machen wie meine Ehre. Ich fühlte wohl, daß ich dich bewunderte, aber ich sagte mir, es sei nur Freundschaft; und bis ich begann, Vergleiche zu ziehen zwischen dir und Lucy, wußte ich nicht, wie weit es mit mir schon gekommen war. Doch danach war es wohl nicht richtig, so lange in Sussex zu bleiben, und die Argumente, mit denen ich mich über meine Zweifel hinwegtröstete, waren lediglich diese: Die Gefahr betrifft nur mich, ich schade niemand anders als mir selbst.«
    Elinor lächelte und schüttelte den Kopf.
    Edward war sehr erfreut zu hören, daß Colonel Brandon in Barton Cottage erwartet wurde, da er wirklich nicht nur wünschte, ihn näher kennenzulernen, sondern auch, eine |401| Gelegenheit zu haben, ihm zu beweisen, daß er nichts mehr dagegen hatte, von ihm die Pfründe von Delaford zu bekommen – »da er«, sagte Edward, »nachdem ich meinen Dank dafür damals so ungnädig abgestattet hatte, glauben muß, daß ich ihm niemals vergeben kann, daß er sie mir angeboten hat.«
    Jetzt war er selbst verwundert, daß er noch nie dort gewesen war. Aber er hatte dafür so wenig Interesse aufgebracht, daß er seine ganze Kenntnis von dem Haus, dem Garten und dem Pfarrland, der Größe der Gemeinde, dem Zustand

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