Versunkene Gräber: Kriminalroman (German Edition)
ein weiteres Stück ab und führte es zum Mund. Mir schien der Gedanke ein wenig weit hergeholt, dass die göttliche Strafe für das Stehlen von Schokokeksen das Ersticken an denselben war. Hagen hatte das nicht nötig. Allein die Vorstellung, ihn nachts mit seinem Diebesgut über die Flure schleichen zu sehen, war absurd.
»Ich bevorzuge After Eight«, fuhr Trautwein fort. »Ich schließe meine Packung jetzt in den Safe.«
»Das ist eine gute Idee.« Mutter sah zu Hüthchen. »Das machen wir auch. Du bist schon fertig?«
Trautwein grinste. »Machen Sie schnell, wenn Sie noch eins haben wollen. Der Kuchen ist abgezählt. Nach zwei Stück ist Schluss. Wir sind hier ja nicht all inclusive an der Costa Blanca.«
Hüthchen kniff den Mund zusammen. Meine Mutter hatte ihren Kuchen noch nicht einmal zur Hälfte aufgegessen, ich meinen noch gar nicht angerührt. Marie-Luise hatte gar keinen bestellt.
»Möchten Sie, Frau Huth?« Ich bot ihr meinen Teller an.
»Nein, danke.«
Trautwein nickte. »Mäßigung, sage ich immer.« Und schob den letzten Bissen hinein.
Ich mochte ihn. Als Soldat hatte er sein Land verteidigt. Jetzt verteidigte er seinen Kuchen.
»Also … hat man die Kekse denn bei ihm gefunden?«
»Reste, soweit ich weiß. Fragen Sie Frau Reichert. Die beiden kannten sich wohl etwas besser. Nach diesem Vorfall war sie natürlich nicht mehr so gut auf ihn zu sprechen. Spätestens zum Abendessen ist sie sicher wieder unten.«
»Zum Abendessen sind wir leider nicht mehr …«
Ich wurde unterbrochen, noch bevor ich unsere Abreise öffentlich machen konnte. Mein Handy klingelte. Es war Zuzanna.
»Wenn mich die Herrschaften einen Moment entschuldigen wollen?«
Ich wurde huldvoll entlassen und stieß am Eingang mit Marie-Luise zusammen. Ich nahm sie am Arm und zog sie mit hinaus in die Empfangshalle.
»Zuzanna Makowska«, flüsterte ich.
Sie nickte. Ich stellte auf Lautsprecher.
»Ja?«
»Herr Vernau? Ich wollte Sie kurz darüber informieren, dass Herr Zieliński unter Auflagen aus der Untersuchungshaft entlassen worden ist.«
»Ach.« Mehr brachte ich nicht heraus.
Marie-Luise zog die Augenbrauen zusammen, wie immer, wenn sie einer Sache nicht traute.
»Ich versuche gerade, bei Herrn Bezirksstaatsanwalt Sobczak die Außerkraftsetzung des Haftbefehls gegen Frau Hoffmann zu erwirken. Sobald das geschehen ist, braucht die Polizei im Zuge der Rechtshilfe ihre Zeugenaussage. Wollen Sie das übernehmen, oder wird Ihre Kollegin nach Poznań kommen? Dann würde ich gerne einen Termin mit ihr ausmachen, denn ich wäre gerne dabei.«
Marie-Luise schüttelte wild den Kopf.
»Ich erledige das. Wen haben Sie …«
»Danke. Das ist eigentlich alles. Jacek Zieliński ist schon auf dem Weg nach Janekpolana. Ich denke, unsere nicht sehr fruchtbare Zusammenarbeit ist hiermit beendet.«
»Warum?«, fragte ich. »Was haben Sie da draußen gefunden?«
»Wir haben einen neuen Tatverdächtigen. Er wurde inzwischen festgenommen und dem Haftrichter vorgeführt.«
Ich hielt den Atem an. Marie-Luise kam mir so nahe, dass ich den Geruch von Mutters Kölnisch Wasser riechen konnte, der immer noch an ihrem Kostüm haftete.
»Es ist Marek Zieliński. Jaceks Vater.«
28
Zuzanna Makowska legte auf. Im gesamten Gebäude der Woiwodschaftskommandantur herrschte Rauchverbot. Sie wartete darauf, zur Vernehmung von Marek Zieliński aufgerufen zu werden. Im Moment kümmerte sich noch der Amtsarzt um den alten Mann.
Das komisariat policji II war ein ehemaliger Plattenbau, von außen einigermaßen renoviert, innen frisch gestrichen. Dennoch haftete dem Kasten etwas Trostloses an. Wahrscheinlich empfanden das alle Außenstehenden, die eine komenda miejska betraten. Das Linoleum war noch nicht alt, es glänzte feucht, weil eine Raumpflegerin gerade ihre Runden zog. In der Pförtnerloge hing eine riesige Uhr. Der Sekundenzeiger drehte ebenfalls gleichmäßig seine Runde. Nur auf der Zwölf verharrte er für einen Moment, um dann in die nächste Minute zu starten. Der Wachmann trug Uniform und eine graublaue Mütze mit dem weißen Adler. Er war in etwas vertieft, das Zuzanna von ihrem Standpunkt aus nicht erkennen konnte – und sie auch nicht interessierte.
»Ich gehe mal kurz vor die Tür.«
Der Mann hob den Kopf, musterte sie und nickte. Er hatte ein rundes, flächiges Gesicht und schwere Tränensäcke unter den Augen. Am auffälligsten war seine kleine Nase. Als hätte er sie mit jemandem getauscht, dachte Zuzanna, und
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