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Versunkene Gräber: Kriminalroman (German Edition)

Versunkene Gräber: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Versunkene Gräber: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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aufgeben würde.
    Jacek warf die Knäckebrotpackung auf den Tisch, die angebissene Scheibe dazu und setzte sich wieder. »Ein paar von denen liegen drüben auf dem Friedhof. Josef, Wilhelm, Friederike und noch zwei. Johannes ist der Älteste. Wurde siebzehnhundertachtundachtzig in Breslau geboren und ruht da, in Staub und Asche im siebenundfünfzigsten Jahr seines Alters, zumindest steht es so auf einem der umgefallenen Grabsteine. Einen von denen hätte er doch wenigstens kennen müssen, oder?«
    »Auch eine Mathilde?«
    »Mathilde? Die mit der schönen Gruft? Nein. Das waren die Jeschkes. Reiche Bauern mit Hang zum Großbürgertum. Die hatten ihre Ländereien drüben auf der anderen Seite der Odra. Dazu eine Pferdezucht vom Feinsten. Die haben auch die Kapelle gestiftet, vor über hundert Jahren.«
    »Du kennst dich ja gut aus mit der Geschichte von Janekpolana.«
    »Ich lebe hier. Okay, noch nicht sehr lange. Ich habe mich wenig gekümmert, auch um Marek. Aber das wird jetzt anders. Das ist mein Land. Und es hat eine Geschichte, die nicht erst neunzehnhundertfünfundvierzig begonnen hat. Meine Großeltern, meine Eltern, für die war das hier der absolute Neuanfang. Bloß nicht dran rühren, was früher war. Die hatten alle das Schlimmste mitgemacht. Aus dem Haus getrieben, deportiert, von den Sowjets verschleppt. Die Hälfte von uns ist draufgegangen in dieser Zeit. Die andere Hälfte kam hierher und wollte nichts als neu anfangen. Da hat keiner gefragt, wem das vorher gehört hat. Die Deutschen haben das Land verlassen.«
    »Sie mussten das Land verlassen.«
    »Glaub mir, es war besser so. Sonst hätte keiner überlebt. Mein Großvater hat mir als Kind ab und zu was erzählt. Sie haben im Freien unter der Bahnbrücke geschlafen, die Polen und die Deutschen. Sie sind erfroren, verhungert oder haben sich Typhus eingefangen. Alle sind sie hier gestrandet, am Ufer der Odra. Kein Vor, kein Zurück. Das war wie eine riesige Welle, die gegen eine Mauer kracht. Monate vor Kriegsende war hier, hinter der Front, die Hölle. Wie hätte man das regeln sollen?«
    Ich wusste es nicht.
    »Mein Großvater ist übers Land gezogen und hat die deutschen Straßenschilder entfernt und die alten Wegmarken. Aber als es an den Friedhof ging, hat er sich vor den Eingang gestellt und gesagt: Bis hierhin und nicht weiter. Das war lebensgefährlich damals. Trotzdem hat er den Friedhof gerettet. Das war für ihn eine Frage der Ehre. Die Russen hatten schon angefangen, die Gräber zu plündern. Dann kamen die Eisendiebe und haben die Grabkreuze rausgerissen. Irgendwann wäre nichts mehr übrig gewesen. Das hätten die Toten nicht verdient, hat er gesagt. Frag mal, was aus den anderen Friedhöfen geworden ist. Die gibt es alle nicht mehr. Trotzdem, ein paar Jahre später hat er seine Frau in Cigacice begraben, auf dem katholischen Friedhof. Das wollte er nicht, dass sie hier … Es wollte keiner mehr da begraben sein.«
    Er griff unter den Tisch und holte eine halb volle Weinflasche hervor. Sie hatte kein Etikett. Mit einem Nicken wies er auf mein Wasserglas.
    »Trink aus.«
    Ich trank. Jacek schenkte mir roten Wein ein. Er roch nach Sommer, altem Holz, Steinen in der Sonne und wilden Heckenrosen. Ich probierte. Er schmeckte sogar noch besser. Der Nachhall war samtig, mit einem Hauch eigenwilliger Schärfe.
    »Meiner.« Jacek schleuderte seinen Wasserrest in hohem Bogen ins Spülbecken und schenkte sich ein. »Dornfelder, Regent, Zweigelt. Das ist der Wein dieser Erde. Im zwölften Jahrhundert haben Mönche die ersten Weinstöcke in die Gegend hier gebracht. Der Weinberg von Johannishagen ist fast zweihundert Jahre alt. Sein Keller war sogar mal berühmt. Jede Menge Mouton, Yquem, Lafite-Rothschild und solche Granaten. Vor hundertfünfzig Jahren ist in Grünberg die erste deutsche Sektkellerei entstanden. Das war die Toskana von Preußen. Geh ins Museum und schau dir an, was davon geblieben ist. Ein paar alte Fässer. Probierkelche aus Bauernsilber, Pressen, Etiketten, ein Dutzend alte Postkarten. In dieser Gegend stand die größte Cognac-Brennerei östlich des Rheins. Grünberg und Wein, das hat neunhundert Jahre lang zusammengehört. Und dann, mit einem Schlag, war alles weg. Sechs Hektar lagen allein in Janekpolana brach. Jahrzehntelang. Wenn es Sommer war in Berlin, hab ich immer die Werkstatt geschlossen und bin an den Rhein, weißt du noch?«
    »Ja.«
    Er hob das Glas. Wir stießen an.
    »Weinlese. Immer wenn ein Winzer gehört hat,

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