Versunkene Gräber - Roman
hatte, dass die Familie seines Vaters zu den reichsten in Deutschland gehörte, und der sogar noch kurz vor dessen Tod von ihm abgewiesen worden war. Ich fuhr fort mit dem rätselhaften Dahinscheiden des alten Hagen vor zwei Monaten und der Rolle, die eine unter mysteriösen Umständen zu Tode gekommene Pflegerin namens Krystyna Nowak dabei gespielt hatte.
»Nowak?«, unterbrach er mich stirnrunzelnd. »Krystyna Nowak? So eine kannte ich mal. Wir sind in dieselbe Schule gegangen, in Cigacice. Da hieß sie noch Kosecka. Hat dann einen Fischer geheiratet. Ist sie das? Blond? Läuft wie ein Pferd, immer trab, trab?«
Ich beschrieb sie ihm, wobei ich ihren Gang nicht erwähnte.
»Das ist sie! Die Welt ist klein. Krystyna aus Cigacice …«
Ich war genauso verblüfft wie Jacek. Immer mehr Fäden liefen in dieser Gegend zusammen. Hagen, Krystyna, Jacek, Sinter, Mariechen, Schwerdtfeger – alle hatten irgendetwas miteinander zu tun und stolperten beinahe übereinander. Der Einzige, den ich befragen konnte, saß mir gegenüber. Aber er verschwieg mir etwas. Das war mir schon in der Untersuchungshaft aufgefallen. Schon damals hatte ich geahnt, dass er jemanden schützen wollte. Marie-Luise, natürlich. An seinen Vater hatte ich zu diesem Zeitpunkt nicht gedacht.
»Später ist sie nach Zielona Góra und hat eine Ausbildung zur Krankenschwester oder Altenpflegerin gemacht. Sie ist auch tot?«
Ich erzählte alles, was ich wusste. Jacek rieb sich dabei immer wieder über die Augen. Sie waren rot und entzündet. Die ganze Geschichte ging ihm näher, als er zugeben wollte.
»Ich glaube nicht, dass sie was mit dem Tod von diesem Hagen zu tun hatte«, sagte er, als ich fertig war. »Warum? Das ergibt alles keinen Sinn.«
Er dachte eine Weile nach.
»Vielleicht hat er ihr etwas erzählt?«, unterbrach ich sein Schweigen.
»Was denn?«
»Oder sie ihm?«
Jacek wich meinem Blick aus.
Eine Weile beobachtete ich eine Ameisenstraße, die über dem Spülbecken die Wand entlangführte. Schließlich sagte ich: »Den Hagens hat mal das Haus hier gehört, stimmt’s?«
Jacek stand auf und holte eine angebrochene Packung Knäckebrot aus dem Hängeregal. Er bot mir eines an, ich lehnte dankend ab. Die Packung in der Hand trat er an das halb blinde Fenster, von dem aus man, wäre es geputzt, den Weinberg hätte erkennen können.
»Dieses hier, das Deputantenhaus und der Weinberg. Die ganze osada . Alles hat mal den Hagens gehört. Bis zum Juni fünfundvierzig. Dann sind wir gekommen.« Er blieb mit dem Rücken zu mir stehen und biss ein Stück Knäckebrot ab.
»Was ist mit den Hagens passiert?«
»Die waren weg.«
Ich wartete, ob er mehr dazu sagen würde als diesen einen Satz. Doch es kam nichts. Ich fragte mich, ob es für ihn jemals ein Thema gewesen war, wer vorher in diesen Häusern gelebt hatte. Wenn ja, dann war es eines, das Jacek nicht mit mir teilen wollte.
»Wie ist es zu dem Treffen mit Horst Schwerdtfeger gekommen?«
»Wir sind uns schon einmal begegnet. Es ist eine Weile her. Ende Mai stand er plötzlich hier vor der Tür. Auf meinem Grund und Boden.«
Jacek drehte sich um und fixierte mich scharf, als ob ich Einspruch erheben wollte. Ich dachte nicht daran.
»Erst hat er gesagt, er wollte sich gerne ein bisschen umschauen. Familiengeschichte und so. Das passiert öfter. Damit müssen wir leben. Ich habe ihm erlaubt, in den Weinberg zu gehen. Das hat er auch gemacht. Später war er auf dem Friedhof. Dann habe ich ihn hinter dem Kutscherhaus rumkraxeln sehen. Ich dachte mir noch, mit dem stimmt was nicht. Am Nachmittag kam er zurück, ziemlich fertig und dreckig. Weiß der Geier, was er gesucht hat. Die Leute haben ja die merkwürdigsten Erinnerungen. Jedenfalls fragte er, ob er sich auch das Haus ansehen dürfte und den Keller. Eigentlich hatte ich nichts dagegen. Er war ein armes Schwein. Keine Ahnung, welchen Floh ihm sein Vater ins Ohr gesetzt hat. Was das mal für ein Palast war oder wie auch immer.«
»Sein Vater? Er hat dir von Helmfried Hagen erzählt?«
»Ja. Der Alte hätte ihm auf dem Sterbebett von diesem schönen Ort erzählt.«
»Das kann nicht sein.«
»Gut möglich, dass er gelogen hat. Er wusste nämlich kaum was. Ich hab ihm auf den Zahn gefühlt, und dabei kam raus, dass er von Familiengeschichte keine Ahnung hatte. Da wurde ich stutzig. Jetzt ist mir das klar … er hat ihn ja nie zu Gesicht bekommen.«
»Was weißt du von den Hagens?«
Ich war gespannt, ob er seine Zurückhaltung
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