Versunkene Gräber - Roman
Ich wartete auf eine Reaktion.
Nicky tat so, als ob sie betroffen in ihren Rotwein starren würde, aber mir konnte die contessa nichts mehr vormachen. Sie war mit allen Wassern gewaschen. Schlau, gerissen, sehr charmant. Eine gefährliche Mischung. Ich war auf sie hereingefallen.
John warf die Serviette neben den Brotkorb. »Das ist sehr bedauerlich, denn ich hätte die Dame sehr gerne noch gesprochen. Ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Wir haben mit ihrem Tod nichts zu tun.«
»Wer ist wir?«
»Frau Verasia-Camerer und ich. Nehmen Sie uns als Stellvertreter der Familie.«
»Dürfte ich erfahren, welches Interesse die Camerers an Johannishagen haben?«
»Es handelt sich um Familienbesitz.«
Ich stieß ein ärgerliches Schnauben aus. »Hören Sie auf. Und selbst wenn – die Hagens waren nur angeheiratet, oder?«
»Auch sie sind ein Teil der Familie.«
»Was steht in Helmfried Hagens Testament?«
»Alles den Kindern.«
»Also war auch Horst Schwerdtfeger bedacht?«
»Ja. Erstaunlicherweise. Es war nicht leicht für Sabine und mich. Eben noch eröffnet uns Herr Sinter, dass wir beide einen Bruder haben, einen Halbbruder, wohlgemerkt, und dann wird er auch noch bedacht. Herr Schwerdtfeger hat ebenso wie ich und Sabine dreißigtausend Euro bekommen. Aber noch nicht einmal daran konnte er sich erfreuen. Denn das Geld wurde ihm ja in Polen geraubt, bevor man ihm den Schädel eingeschlagen hat.«
»Bitte«, flüsterte Nicky. »Bitte nicht. Ich ertrage es nicht, bei Tisch über solche Dinge zu reden.«
Mit nonchalanter Beiläufigkeit nahm John ihre Hand und drückte einen flüchtigen Kuss darauf. »Verzeih.«
Die beiden spielten ihre Rolle als zartes Eheweib und beschützender Gatte hervorragend. Und noch etwas fiel mir auf: die Hast, mit der John Horsts plötzlichen Geldsegen erklären konnte. Ich vermutete, dass er Angst hatte, man würde im Laufe der Ermittlungen die Herkunft des Geldes aufdecken und herausfinden, dass es aus einer Berliner Kanzlei kam. Ein gefälschtes Testament konnten Sinters Notare jederzeit aus dem Ärmel schütteln. Das war ein Leichtes. Wahrscheinlich hatte der alte Herr sogar ein Sparkonto besessen, von dem die Summe stammte. Ich kam nicht umhin, einen widerwilligen Respekt für Sinters Geschick zu entwickeln, mit dem er John den Weg nach Janekpolana ebnen wollte. Es zumindest versucht hatte. Was für drei Menschen, Schwerdtfeger, Krystyna und, wie ich annehmen musste, den alten Hagen, den Tod bedeutet hatte. Ob John sich darüber im Klaren war? Wohl kaum.
Nach dem zweiten Glas Wein verließ ihn seine Nervosität, und eine Art weltmännische Arroganz blitzte auf. Ich kannte das. Ich fühlte mich wohler, wenn ich unterschätzt wurde.
»Das war alles?«, fragte ich.
»Ja. Mehr hatte er nicht. Richten Sie das bitte auch Maria Fellner aus, wenn Sie ihr das nächste Mal unhaltbare Versprechungen machen. Herr Sinter hat uns informiert. Lächerlich. Mein sogenannter Halbbruder hatte nichts zu vererben. Zumindest nichts aus unserem Besitz.«
»Erst will ich den Ehevertrag sehen.«
Ein derartiges Dokument zu fälschen wäre schon komplizierter. Bei solchen Dingen verstanden die Camerers bestimmt keinen Spaß.
»Herr Vernau.« John legte beide Ellenbogen auf den Tisch und beugte sich vor.
Jetzt reden wir mal Tacheles, sollte das wohl heißen. Nicky nippte an ihrem Wein und checkte zwischendurch den Zustand ihrer manikürten Fingernägel. Ich neigte aufmerksam lauschend den Kopf.
»Wir sind doch beide Profis. Ich gebe Ihnen den guten Rat, die Sache ruhen zu lassen. Diese Vereinbarung existiert, und sie ist hieb- und stichfest, denn meine Mutter hat sie von Sinters Notariat aufsetzen lassen. Dem unterlaufen keine Fehler.«
»Warum sollte Horst Schwerdtfeger nach Johannishagen?«
»Sollte er das? Ich habe keine Ahnung.«
»Was hat Krystyna Nowak Ihnen angeboten?«
»Das werden Sie von mir nicht erfahren. Trinken Sie Ihren Wein aus. Wie ich meine Frau kenne, hat sie eine ziemlich teure Flasche ausgesucht.«
»Warum sollte Ihr Anwalt Marek Zieliński aus dem polnischen Polizeigewahrsam mitnehmen? Was hatten Sie vor mit dem alten Mann?«
Nicky, die gerade einige Brotkrümel vom Tisch in ihre Hand strich, hielt mitten in der Bewegung inne.
John grinste. »Diese polnische Zicke, nicht? Zuzanna? Hat sie Ihnen das gesteckt? Ich kenne Herrn Sinter schon lange. Aber noch nie hat ihn jemand so aus der Fasson gebracht. Arbeiten Sie mit ihr zusammen?«
Es war sein Grinsen, das mich wütend
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