Versunkene Gräber - Roman
unserem Tisch.«
John versuchte ein gewinnendes Lächeln, das bei mir nicht ankam. »Erwischt. Einen Versuch war es wert. Ich wollte den armen Mann nicht so hängen lassen. Sein ganzes Leben vaterlos, dann erbt er ein kleines Vermögen, und zum ersten Mal regt sich in ihm der zaghafte Wunsch, die Heimat seiner Ahnen wiederzusehen. Und was geschieht, als er dort an die Tür klopft? Er wird mit Schimpf und Schande vom Hof gejagt. Das ist doch keine Art, oder? Daher wollten wir ihm helfen, sich den verlorenen Besitz wenigstens einmal anzusehen. Immerhin hat er ja, wenn auch auf eine etwas abenteuerliche Weise, zur Familie gehört.«
»Du bist so süß!«, rutschte es Nicky heraus.
John nickte ihr zu, als hätte er nach diesem Vortrag auch keine andere Art von Applaus erwartet.
»Wenn ich das Ausmaß Ihrer Güte recht verstanden habe«, begann ich, »dann hatte Frau Nowak also zuerst Kontakt zu Herrn Schwerdtfeger.«
»Ja.«
»Herr Schwerdtfeger hatte keinen Kontakt zu seinem Vater?«
»Nein. Meine Mutter war eine sehr bestimmende Person. Wer sich auf diese Familie einlässt, tut das mit Haut und Haaren. Ihr Wort war selbst nach ihrem Tod bindend.«
»Also war es Frau Nowak, die Herrn Schwerdtfeger von Janekpolana erzählt hat? Nicht sein eigener Vater?«
»Johannishagen war Vaters Geburtsort, mehr nicht. Er hatte keinerlei Verbindung zu diesem Gut, weil er es als Dreijähriger verlassen hat. Er hatte auch keinen Kontakt zu seinem unehelichen Sohn. Es gab eine Unterhaltsklage, er verlor. Er zahlte. Mehr nicht. Bitte verwenden Sie diese Information nicht außerhalb dieses Kreises. Sie sehen, ich spiele mit offenen Karten.«
Dennoch hatte sich die Familie für ein paar wertlose Erinnerungsstücke an das alte, längst vergessene Weingut auf eine Erpressung eingelassen und den Tod des schwächsten, dämlichsten Familienmitgliedes billigend in Kauf genommen. Je mehr John die ganze Sache herunterspielte, desto klarer wurde mir, dass sie ein enormes Ausmaß haben musste.
»Zusammengefasst: Frau Nowak und Herr Schwerdtfeger haben sich gefunden und es erst einmal hinter Ihrem Rücken auf eigene Faust versucht.«
»Was?«, fragte John verblüfft, aber er konnte mich damit nicht aufs Glatteis locken.
»Als sie nicht weiterkamen, haben sie sich an die Familie gewendet.«
»Das sind reine Vermutungen. Frau Nowak wollte mit uns ins Geschäft kommen. Wahrscheinlich hat sie nur versucht, über Schwerdtfeger an unsere Familie heranzukommen.«
»Hatte sie es Herrn Hagen gestohlen?«
»Nein. Er hat es nie besessen.«
»Ich werde herausfinden, was es war. Aber es würde uns allen helfen, wenn Sie mich nicht weiter im Dunkeln tappen lassen.«
John sah zu Nicky. Ich konnte seine Gedanken beinahe laut hören. Sieh mal, Süße, jetzt haben wir ihn so weit.
Nicky holte tief Luft und stieß einen Seufzer aus. »Briefe«, sagte sie. »Alte Liebesbriefe.«
37
»Briefe?«, wiederholte Zuzanna ungläubig. »Ihre Frau hat die Briefe dieses Mannes herausgeschmuggelt? Sonst nichts?«
»Er hat sich die Finger wund geschrieben. Das war das Einzige, was ihm noch geblieben ist in seinem Versteck. So ein Stapel.« Er zeigte ihr die Höhe mit Daumen und Zeigefinger an. »Ich hab nichts davon gewusst. Überhaupt nichts. All die vielen, vielen Jahre hat sie es mir nicht erzählt. Aber dann …«
Lenka hatte sich zu seinen Füßen in den schmalen Spalt zwischen Bett und Wand gequetscht. Zygfryd strich ihr unbeholfen über den Arm. Das Mädchen hatte sich beruhigt. Zuzanna vermutete, dass es genauso erpicht darauf war wie sie, endlich die ganze Geschichte zu erfahren. Was hatte es mitbekommen? Wie viel Geflüster belauscht? Was daraus geschlossen, dass gewisse Themen vermieden worden waren? Neugier, Furcht und großes Mitgefühl wechselten sich in den Zügen des jungen Dings ab.
Da denkt man immer, sie interessieren sich für nichts. Aber das stimmt nicht .
Der Großvater wandte sich an seine Enkelin. »Weißt du noch, kochanie , als deine Großmutter anders wurde?«
Lenka nickte. »Oma hat viel geweint und wusste nicht, warum. So hat es angefangen, vor ein paar Jahren. Mama ist es zuerst aufgefallen. Sie hat mich eines Abends zur Seite genommen und mir von Ronald Reagan erzählt.«
»Der amerikanische Präsident«, erklärte Zygfryd.
Zuzanna wusste, wovon die Rede war. »›Ich beginne nun die Reise in den Sonnenuntergang meines Lebens‹«, zitierte sie. Alzheimer. »Es muss schrecklich gewesen sein.«
Lenka zuckte mit den
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