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Versunkene Gräber - Roman

Versunkene Gräber - Roman

Titel: Versunkene Gräber - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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gesagt, wenn man das nicht tut, dann werden sie wiederkommen, immer wieder, sogar aus den Gräbern werden sie noch kommen und uns alles wegnehmen.«
    »Ja«, pflichtete Marek ihm in tiefem Ernst bei. »Man muss sie erschlagen, sonst erschlagen sie uns, die Verfluchten.«
    Jacek ballte die Hände zur Faust. Zuzanna ahnte, wie es in ihm aussah. Sein Vater war ein Mann, der keiner Fliege etwas zuleide tun konnte. Doch wehe, jemand kam dem kleinen Stück Heimat, der einzigen Sicherheit seines Lebens, zu nahe. Zygfryds Plan war deshalb so perfide gewesen, weil er die Urängste und Traumata eines Kindes und das entsetzliche Leid, das es erlitten hatte, für seine eigenen Ziele missbraucht hatte.
    Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt, kam es ihr in den Sinn. Nein. Ist es nicht.
    »Was ist dann passiert?«, fragte Jacek mit mühsam unterdrücktem Zorn.
    »Ich habe den Jungen zur Miliz geschickt. Es sollte so aussehen, als wäre er von allein darauf gekommen. Währenddessen war Lenka noch ein letztes Mal im Weinkeller, aber ich konnte sie warnen. Ich sagte ihr, mir sei zu Ohren gekommen, dass Hagen gesehen worden sei. Sie hat versucht, ihn zur Flucht zu bewegen. Doch er wollte nicht gehen. Er wollte in der osada sterben, in Johannishagen . Dort war er geboren, dort, so hat Lenka mir erzählt, wollte er auch ein letztes Mal in den schlesischen Himmel sehen. Die Miliz hat ihn geholt. Sie trieben ihn mit Tritten aus dem Weinberg und über den Hof. Dort blieb er liegen. Er konnte nicht mehr weiter.«
    »Ich habe es gesehen«, sagte Marek. »Alle sagten, ich soll stolz sein. Aber ich war nicht stolz. Ich wusste, er kommt wieder und wird sich rächen. Er ist tatsächlich wiedergekommen …« Ein trockenes Schluchzen quälte sich aus seiner Kehle.
    »Es ist vorbei.« Jacek wollte die Hand seines Vaters berühren, aber etwas hielt ihn davon ab, als entspräche diese Geste nicht ihrem Verhältnis. »Ich bin da. Ich bleibe bei dir. Ich passe auf dich auf.«
    Zuzanna wandte sich an Zygfryd. »Was ist mit Walther Hagen passiert?«
    »Er ist noch einmal aufgestanden, so sagte man mir. Er versuchte zu fliehen. Doch er hatte keine Kraft mehr dazu. Heute glaube ich, er wollte dem ein Ende machen. Sie haben ihn erschossen.«
    »Peng«, sagte Marek.
    Alle zuckten zusammen. Dann begann er wieder, in seinem Brei herumzurühren.
    Lenka war die Erste, die sprach. »Du hattest keine Wahl.«
    »Doch«, sagte Jacek wütend. »Sie hätten ein Mann sein sollen. Stattdessen haben Sie ein Kind vorgeschickt!«
    »Hören Sie auf!«, schrie Lenka. »Sie wissen nichts, Sie wissen gar nichts! Sie wissen nichts von Liebe.«
    Sie sprang hoch und half ihrem Großvater sich zu erheben. Zygfryd wollte noch etwas zu Marek sagen. Er nahm Anlauf, aber dann überlegte er es sich anders und wandte sich zur Tür.
    »Danke, Herr Nowak«, sagte Zuzanna freundlich. »Sie haben uns sehr geholfen. Es war wichtig, dass Sie hergekommen sind. Und es gehörte Mut dazu.«
    Er blieb stehen und sah auf Marek. »Was wird aus ihm? Wenn ich gewusst hätte, was all das in ihm auslöst …«
    »Dann hätten Sie Hagen selbst an die Wand gestellt?«, fragte Jacek scharf.
    Zygfryd schüttelte den Kopf. »Nein. Dann hätte ich ihm auf die andere Seite geholfen. Ich habe seine Briefe nicht gekannt. Vielleicht war er der eine von den zehn Gerechten. Dann hätte der Herr ihn retten müssen. Nicht ich. Ich war zerfressen von Liebe und Hass. Das kann man heutzutage nicht mehr verstehen. Aber damals war man bereit, für beides zu töten.«
    Er ging. Zuzanna schloss leise die Tür. Sie trat zu Jacek, der sich wieder seinem Vater zugewandt hatte. Er griff nun doch nach seiner Hand, und sie hatte das Gefühl, dass die Männer sich nahe waren und dass dies ein sehr seltener Moment war. Der Sohn beschützt den Vater, dachte sie. Für beide scheint das noch etwas ungewohnt zu sein, aber sie werden sich finden.
    »Ist er weg?«, fragte Marek.
    Zuzanna glaubte, er redete von Zygfryd.
    Aber Jacek nickte nur und sagte: »Ja. Er wird nie mehr wiederkommen. Er hat seinen Frieden gefunden.«
    Marek lächelte unsicher. Ob er jemals Frieden finden würde? Vielleicht mit einem Sohn an seiner Seite, der ihm Stärke und Schutz geben konnte.
    »Ich lasse Sie jetzt auch allein. Sie wissen ja, wo Sie mich erreichen können«, sagte Zuzanna und nickte den beiden zu.
    Jacek wollte etwas erwidern, doch es schien, als ob es keine höflichen, oberflächlichen, nichtssagenden Worte mehr gäbe, die sie austauschen

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