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Versunkene Gräber - Roman

Versunkene Gräber - Roman

Titel: Versunkene Gräber - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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nicht gefunden hast, vielleicht in Janekpolana auf dich wartet?
    »Marek?«
    Der alte Mann rührte weiter.
    »Möchten Sie etwas anderes essen?«
    Sie hatte noch einen Müsliriegel dabei, den sie nun aus der Tasche holte und vor ihn auf den Tisch legte. Er beachtete das Angebot nicht. Schließlich aß sie ihn selbst auf.
    Sie hatte die Erlaubnis von Krajewski, mit ihrem Mandanten zu sprechen. Marek durfte auch Besuch empfangen. Trotzdem war sie nervös und befürchtete, dass in letzter Sekunde noch etwas dazwischenkommen könnte. Sie beobachtete Mareks Rühren, und irgendwann entwickelte seine stete Tätigkeit einen fast hypnotischen Sog. Sie fuhr zusammen, als es klopfte.
    Die Tür öffnete sich. Eine Schwester, dieselbe, die Zuzanna vor einer halben Stunde eingelassen hatte, nickte ihr zu, und hinter ihr tauchten Jacek, Zygfryd und Lenka auf. Bei Jaceks Anblick verspürte sie einen Stich im Herzen. Er sah übernächtigt aus, müde, angespannt, als ob er den Rest der Nacht über denselben Fragen gebrütet hätte wie sie. Lenka schob sich trotzig vor ihren Großvater.
    »Was macht sie hier?« Irritiert blickte Zuzanna auf das junge Mädchen.
    »Sie hat sich nicht abhalten lassen«, brummte Jacek und ging zu seinem Vater.
    Der sah kurz von seinem Teller hoch. Ein flüchtiges Lächeln huschte über sein faltiges Gesicht. »Jacek. Bringst du mich nach Hause?«
    Sein Sohn sah zu Zuzanna. »Wann kann er gehen?«
    Zuzanna stand auf und trat zur Seite, um die beiden anderen einzulassen. »Ich weiß es nicht.« Sie nickte Zygfryd zu. Gott sei Dank. Er war gekommen.
    Lenka führte ihn zu Mareks Bett und half ihm sich zu setzen.
    »Er steht noch unter dem Einfluss von Beruhigungsmitteln.«
    Wahrscheinlich saß er deshalb so teilnahmslos da. Jacek nahm auf dem freien Stuhl Platz. Sie war sich seiner Gegenwart überdeutlich bewusst. Es war, als ob der Raum plötzlich zu klein für alle wäre. Sie schloss die Tür und blieb stehen.
    »Marek«, begann Zygfryd und brach mit einem Räuspern ab. Rührung und Sorge verwarfen wohl gerade die Worte, die er sich zurechtgelegt hat.
    Der alte Mann drehte langsam den Kopf und musterte den Neuankömmling von oben bis unten. »Wer ist das?«
    »Zygfryd Kosecki aus Cigacice«, sagte Jacek. »Krystyna Kosecka war seine Tochter. Später hat sie einen der Nowaks geheiratet. Erinnerst du dich an sie? So eine Blonde, immer auf Trab.«
    »Ah ja.« Marek versuchte ein schüchternes Lächeln.
    Ihm war nicht ganz wohl bei der Sache, Zygfryd wiederzusehen. Das merkte Zuzanna.
    »Und das da ist seine Enkelin Lenka. Wir sind hier, weil wir herausfinden wollen, was damals mit dem ehemaligen Besitzer der osada passiert ist.«
    Marek widmete sich wieder seinem Teller und zog erneut Spiralen.
    »Walther Hagen«, erklärte Zuzanna. Sie beugte sich zu ihrer Aktentasche, die sie neben dem Bett abgestellt hatte, und holte eine Mappe hervor. Darin befand sich eine Kopie des letzten Briefes, der in Johannishagen geschrieben worden war. »Er hat sich neunzehnhundertfünfundvierzig drei Monate im Weinberg versteckt. Sie müssen ihn gesehen haben. Der Eingang lag direkt unter Ihrem Dachfenster.«
    Marek hielt mit dem Rühren inne. »Der Verfluchte … ja. Ja. Ich hab ihn gesehen.«
    »Und?«
    »Er hatte Angst.«
    »Und Sie?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Hatten Sie Angst vor dem Mann im Weinberg?«
    »Am Anfang nicht. Nein.«
    »Aber dann hat Ihnen jemand Angst eingejagt und erzählt, Hagen wäre gekommen, um Sie wieder zu vertreiben.«
    »Ich … ich weiß nicht. Man muss Lärm machen, dann verschwinden die Geister.«
    Zygfryd starrte auf seine gefalteten Hände.
    Lenka drehte den Kopf von einem zum anderen. »Was wird das hier? Warum haben Sie uns geholt? Mein Großvater hat alles gesagt, was er wusste. Wir gehen.« Sie wollte aufstehen.
    »Bitte bleiben Sie. Herr Kosecki, Sie haben das Verdienstkreuz der Volksrepublik Polen in Bronze bekommen. Wofür?«
    Lenka starrte sie hasserfüllt an. »Wofür wohl? Weil er sich ums Vaterland verdient gemacht hat!«
    »Natürlich. Sie haben zu jenen gehört, die dieses Land in schwierigster Zeit aufgebaut haben. Dafür gebührt Ihnen höchster Respekt. Aber … wie konnten Sie es da ertragen, dass Magdalena, Ihre Lenka, einen Wehrmachtsdeserteur und Hitleristen versteckte? Sie kamen aus der Hölle, und in Janekpolana hockte jemand, der glaubte, er könnte das Kriegsende einfach aussitzen. Dazu brachte er die Frau, die Sie gegen alle Vernunft mehr liebten als alles andere, in

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