Montgomery & Stapleton 10 - Testphase
Prolog
28. Februar 2010
Sonntag, 02.06 Uhr
Kyoto, Japan
Von einer Sekunde auf die andere wendete sich das Blatt. Gerade noch lief alles wie am Schnürchen – abgesehen von der Tatsache, dass Benjamin Corey sich in einem fremden Land aufhielt und gerade in ein Labor einbrach –, und schon im nächsten Moment hatte das Verhängnis bereits seinen Lauf genommen. Ben Coreys Gemütszustand wechselte von relativ entspannt zu schlichtweg entsetzt. Innerhalb von Sekunden, nachdem die Deckenbeleuchtung angesprungen war und den Fußboden mit grellem Neonlicht überflutete, kroch kalter Schweiß über Ben Coreys Stirn, und sein Herz fing an zu hämmern. Am schlimmsten fand er, dass seine Fingerspitzen taub wurden – eine Reaktion auf diese brenzlige Situation, die er bisher noch nie bei sich erlebt hatte. Was ihm am Abend zuvor von seinem japanischen Yakuza-Kontakt in Tokio als Kinderspiel angepriesen worden war, drohte nun, sich genau zum Gegenteil davon zu entwickeln. Ein älterer Wachmann in Uniform näherte sich durch den Mittelgang des Labors, das Visier seines Helmes hatte er über die Stirn zurückgeschoben. Dicht neben seinen Kopf hielt er eine Taschenlampe in seiner rechten Hand. Er kam näher und schwenkte dabei sowohl seinen Kopf als auch den Taschenlampenstrahl in jeden Gang zwischen die Reihen mit Labortischen. An sein linkes Ohr gedrückt hielt er ein Mobiltelefon, in das er mit gedämpfter, abgehackter Stimme sprach. Wahrscheinlich hielt er den zentralen Wachdienst der Universität von Kyoto über seinen Einsatz auf dem Laufenden. Ein Einsatz, der damit begann, dass er ein einzelnes Licht bemerkt hatte, das in einem Büro im dritten Flur in einem ansonsten völlig dunklen und eigentlich leeren Gebäude brannte. Mit jedem seiner Schritte verursachte der riesige Schlüsselbund, den er mit einem Haken an seinem Gürtel befestigt hatte, ein unheilvolles Klirren.
Es war Ben Coreys erster Einsatz als Einbrecher, und er gab sich selbst das Versprechen, dass es auch sein letzter sein würde. Er gehörte nicht hierher. Er war Dr. med. und Absolvent der Harvard Business School, außerdem Gründer des vielversprechenden Start-Up-Unternehmens iPS USA LLC. Er hatte die Firma mit der Vorstellung gegründet, durch die Vermarktung von menschlichen induzierten pluripotenten Stammzellen, kurz iPS, vielfacher Milliardär zu werden.
Der spezielle Grund dafür, dass Ben sich hier aufhielt, klemmte in diesem Moment unter seinem Arm: mehrere Arbeitsmappen aus dem Labor, die einem ehemaligen Forscher der Kyotoer Universität, Satoshi Machita, gehörten. In den Mappen stand der klare Beweis dafür, dass Satoshi Machita derjenige war, der die ersten iPS-Zellen geschaffen hatte. Ben hatte diese Laboraufzeichnungen in dem Nebenzimmer gefunden, aus dem er gerade herausgekommen war. Satoshi hatte Ben genau erklärt, wo diese Mappen zu finden waren, und hatte ihn im Grunde ermächtigt, diese an sich zu nehmen, was Ben als Rechtfertigung für seine Teilnahme an dem Einbruch diente. Aber es gab noch andere ausschlaggebende Faktoren: In den vergangenen Jahren hatte Ben eine Midlife-Krise durchlaufen, die ihn noch immer seiner altersgemäßen Reife beraubte. Er hatte sich von seiner Frau getrennt, mit der er drei inzwischen erwachsene Kinder hatte, hatte seinen festen Job bei einem höchst erfolgreichen Biotechnologie-Giganten gekündigt und seine frühere Sekretärin, Stephanie Baker, geheiratet, woraufhin er rasch Vater eines Jungen wurde. Er nahm vierzig Pfund ab, fing an, Triathlon und Extrem-Skifahren zu trainieren, und wagte die riskante Gründung von iPS USA zu einer Zeit, als das Aufbringen von Kapital bestenfalls schwierig zu nennen war, was ihm seinerseits erhebliche Kompromisse abverlangte – speziell, was die Herkunft des Geldes betraf.
Mit Blick auf diese bedeutenden Veränderungen in seinem Leben begann Ben mit Stolz von sich als einem »Macher« zu sprechen, im Gegensatz zu den »Zuschauern«. Als er von Satoshi Machita und dessen Geschichte hörte, ergriff er sofort die Chance, dabei mitzumischen. Sehr schnell gelangte Ben zu der Annahme, dass Satoshis Laboraufzeichnungen möglicherweise wie Manna vom Himmel auf ihn herabfielen. Sollte auch nur die Hälfte von dem, was Satoshi ihm darüber gesagt hatte, wahr sein – nämlich dass er derjenige gewesen war, der als Erster iPS-Zellen aus seinen eigenen Fibroblasten gezogen hatte, war Ben davon überzeugt, dass die Aufzeichnungen die biotechnologische Patentwelt
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