Versunkene Inseln
getauchten Sims, vollkommen allein und verlassen, der einzige andere Mensch, der wie ich gewesen war, tot aufgrund meiner arglistigen Überlegenheit, meines in Panik versetzten Stolzes. Ich hatte Tobias umgebracht. Und ich besaß keine Waffe, die ich nun voller Ekel fortschleudern konnte, denn ich selbst hatte es getan. Ich ganz allein.
„Bitte“, flehte ich die Geschworenen an, die mich nicht freisprechen konnten, und langsam glomm Entsetzen in ihren Augen auf. Ich trat einen Schritt auf sie zu, und sie wichen vor mir zurück und scharrten mit den Füßen. Noch immer starrten sie mich an und sahen die frisch in mein Gesicht eingebrannte Schuld. Schweigend schritten wir über den Sims, dann die von Sonnenschein überflutete Wendeltreppe hinab. Wir waren aneinander gefesselt: Ich konnte mich nicht weiter von ihnen entfernen, und sie vermochten mir nicht näher zu kommen. Hinunter, weiter hinunter … und über uns, auf der Krone der Ilium, blieben Jenny und ihr toter Liebhaber zurück. Wie viele Menschen hatte ich dort oben getötet?
Sie drängten sich auf dem Mosaikdeck zusammen und bewegten sich als eine Einheit von mir fort, als ich auf die Außenreling des Schiffes und das Meer darunter zuging. Die Unsterblichen standen nun dicht beieinander am Hüpfer, und hoch oben sah ich die schlanke, gegenüber dem Blau des Himmels scharf abgegrenzte Kontur von Jennys Körper. In der umfassenden, grenzenlos scheinenden Stille schwang die Tür in meinem Geist auf.
„Es tut mir leid“, flüsterte ich und transferierte hinab.
50
Stunden vergingen, Tage vielleicht. Um mich herum summte der Raum. Wärme tropfte von den Wänden, frische Luft zirkulierte, und die Lebensmittel lagen unangetastet an den Wänden der Vorkammer. Ich hockte am Eingang zu Mitsuyagas Königreich und konnte mich nicht rühren.
„Mutter“, hatte er gesagt. Und war gestorben. Er war nicht mein Sohn. Ich hatte keine Kinder, konnte keine Kinder bekommen. „Er war genauso sterblich wie Sie.“ Wie ich? Hatte er auch so darunter gelitten? Meine Gedanken wirbelten im Kreis, und ich war nicht in der Lage, aus diesem düsteren Strudel auszubrechen und an die Gestade der Konzentration zurückzukehren; die einzelnen Szenenbilder und Erinnerungsfetzen entzogen sich meiner Kontrolle. „Mutter“, sagte er, nachdem ich ihm bereits den Tod eingepflanzt hatte. Ich? Ich ganz allein?
Als ich Tobias zum erstenmal begegnete (ich saß in der Tauchkammer und flickte einen Gummischlauch, als Greville durch den Zugangsschacht herabschwebte, gefolgt von goldener Perfektion; man ist fasziniert von der Schönheit und dem Fremden, eine Faszination, die sich nicht auf Liebe oder Haß gründet, sondern allein auf die Präsenz selbst, wie Magnet und Eisenspäne – man kann seinen Blick nicht mehr abwenden), erschrak er, wurde blaß, riß die Augen auf und ballte die Fäuste. Und ich suchte Trost in meinem Sarkasmus und sagte mir, es sei die typische Reaktion, nur eben stärker. Aber – genauso sterblich wie ich? Tobias? Ist er damals aus diesem Grund wie erstarrt stehengeblieben, von meinem Schicksal in gleichem Ausmaß fasziniert wie ich beschämt von seiner Schönheit? Nein, dieser goldene Junge war nicht mein Sohn.
Hat er seine Zukunft in mir gesehen? Hat er das damit gemeint? Warum war er so voller Haß?
Ein weinendes Kind im Grasland Südafrikas, ein Kind, das wie benommen und erschrocken die Straßen von einem Dutzend Städte durchwandert, von Planet zu Planet flieht und in seinen Spiegelbildern nach den faltigen und runzligen Brandmalen des Alterns sucht. Tobias? Aber ich war nie so schön wie er. Und er war nicht mein Kind.
Ich hatte ihn nie nach seinem Alter gefragt, ich hatte es nie
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