Versunkene Inseln
hinaus auf den obersten Absatz, den schmalen Sims, der das Minarett in fünfzehn Meter Höhe über dem Wasserspiegel umgab. Es gab nur einen Weg hinunter, und der führte über die Treppe. Keine Spalten, keine Nischen, kein Platz, an dem man sich verstecken konnte. Ich war nicht in der Lage innezuhalten und lief ganz um das Minarett herum, bis ich wieder in Sichtweite zur Treppe gelangte. Tobias sprang gerade auf den Sims und entdeckte mich. Ich blieb stehen und legte die Hand auf die kühle Wand des Minaretts. Er hielt den Laser ganz ruhig, und auf dem Lauf glühte die lindgrüne Bereitschaftsanzeige. Es gab keine Fluchtmöglichkeit mehr.
„Tobias. Nicht. Bitte.“
Und Tobias’ Lippen bewegten sich und formten ein Wort, das ich nicht hören konnte. Er schritt langsam auf mich zu.
„Das ist kein Spiel, Tobias. Hör jetzt auf. Tobias?“
Er kam weiter auf mich zu, und es war mir ein Rätsel, warum er mich nicht einfach erschoß. Ich hämmerte gegen die Türen in meinem Geist, und mein Innerstes krampfte sich zusammen in dem Bemühen zu transferieren, zu springen, fort von hier. Doch die Türen waren verriegelt, und ich konnte den Schlüssel nicht wiederfinden. Schritte ertönten auf der Treppe, Stimmen riefen auf dem Deck unter uns, und Tobias kaute sein unhörbares Wort. Seine Hand zitterte nicht im geringsten.
„Tobias!“ Jenny stürmte auf den Sims und erstarrte, doch er wandte den Blick nicht von mir ab. Er hob den Laser und nahm mich mit dem Finger am Abzug sorgfältig aufs Korn.
„NICHT!“ schrie mein Mund, mein Geist, mein Innerstes, meine Seele. NICHT! AUFHÖREN!
Und Tobias hörte auf.
Sein Gesichtsausdruck veränderte sich nicht, als er nach vorn kippte und regungslos liegenblieb. Eine Hand ragte über den Sims hinaus und baumelte über dem Flugdeck. Sein Finger löste sich vom Abzug.
Jenny und ich traten langsam an ihn heran. Ich kniete mich nieder, berührte seinen Hals und rollte ihn herum. Seine Lippen zitterten, und ich beugte mich herab und strengte mich an zu verstehen, was er sagte.
„Mutter“, wisperte Tobias, dann brach sein Blick, und seine leblosen Augen verweigerten mir eine Antwort. Seine Brust unter meiner Hand senkte sich und rührte sich nicht mehr. Jenny stand auf. Geschockt und verwirrt sah ich zu ihr auf.
„Ich habe es Ihnen zu erklären versucht“, sagte sie matt. „Er war genauso sterblich wie Sie.“
„Aber …“ brachte ich hervor. „Ich bin nicht seine …“
„Das spielt jetzt keine Rolle mehr. Sie haben ihn getötet.“ Jenny schauderte, ließ sich auf dem Sims nieder und starrte hinaus aufs Meer. Ihre Augen waren genauso trüb wie die von Tobias.
49
Ich erhob mich, starrte Jenny an und wandte meinen Blick dann dorthin, wo sich die anderen Unsterblichen auf dem obersten Treppenabsatz versammelt hatten. Harkness umklammerte das Geländer; seine Knöchel waren weiß, ebenso wie die Wangen, in denen die Muskel mahlten. Greville hinter ihm blickte starr auf Tobias, und sein Gesicht war fast genauso bleich wie seine gefärbten Haarsträhnen. Hart konnte das Zittern nicht unterdrücken, das seinen ganzen Leib erfaßt hatte. Li. Lonnie. Paul, das Gesicht völlig ausdruckslos, jeder Emotion beraubt, von einer ästhetischen Schönheit in seinem Schock. Und Jenny, nun völlig in sich selbst zurückgezogen, in den Augen der trübe Schimmer sich im Kreise bewegender Gedanken. Langsam wandte sich die Aufmerksamkeit der Unsterblichen vom Getöteten ab und dem Täter zu, und ihre Blicke durchbohrten mich.
„Bitte. Es war nicht meine Absicht … ihr habt ihn gehört … ich wollte nicht …“ Aber ich hatte es gewollt. „Er wollte mich töten …“ Aber ich hatte ihn getötet. Ihn aufgehalten. Und nun lag er auf dem in grellen Sonnenschein
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