Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Versunkene Inseln

Versunkene Inseln

Titel: Versunkene Inseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marta Randall
Vom Netzwerk:
ist nicht einfach, in Luna unterzutauchen. Trotz ihrer Komplexität ist es eine kleine Stadt, in der beinahe jeder jeden kennt. Und wenn sich die Bewohner einmal ein Gesicht eingeprägt haben, dann vergessen sie es nicht mehr. Ich stieg in der Bibliotheksstation aus, blieb vor den Gleitbändern stehen und überlegte, wohin ich gehen und was ich tun sollte. Als ich das Ticket nach Luna gekauft hatte, war mein Ortswechsel ganz automatisch vom Komsystem aufgezeichnet worden. Die Daten, die ich durch den Verbrauch meiner Lebensmittel- und Wasserzuweisungen, durch die Benutzung der Transporteinrichtungen hinterließ, würden meinen Weg genau kennzeichnen. Und ich hatte schreckliche Angst, daß Greg oder einer seiner Freunde hierherkam, um mich zu suchen, daß er mich dorthin zurückzubringen versuchte, wohin ich mich so sehr sehnte. Wenn Greg zu mir käme, sagte: „Komm mit, es spielt keine Rolle; flieg mit uns hinaus“, dann würde ich nicht zögern. Dann vergäße ich die vielgestalte Qual, die mein Mitkommen nach sich zöge. Dann vergäße ich, wie ich in zwanzig oder fünfzig Jahren aussähe. Dann vergäße ich, daß, wenn ich ihn tatsächlich so sehr liebte, wie das der Fall war, diese Liebe auch groß genug sein mußte, um ihm das zu ersparen, was aus mir werden würde.
    Ich schulterte meine Tasche und machte mich zu Fuß von der Station aus auf den Weg. Ich benutzte die Gleitbänder nur, wenn sich mir kein anderer Weg bot, und ich wanderte ziellos durch die Stadt. Am Kuppelhimmel wich die weiche Schwärze der Kunstnacht allmählich dem rosaroten und goldenen Schimmer der Morgendämmerung. Nach und nach begannen sich die Straßen mit Menschen zu füllen. Zuerst kamen jene, deren Arbeit ein frühes Aufstehen erforderte, dann die Mehrheit der Angestellten. Sie drängten sich auf die Gleitbänder und wirbelten um mich herum, als ich das Geschäftsviertel der Stadt durchstreifte. Eine Anzahl von kleinen Cafes und Restaurants hatte geöffnet und servierte Platten mit Gebäck, das einen appetitanregenden Duft verströmte, doch ich ging einfach daran vorbei und hielt kaum inne, um mehr als einen flüchtigen Blick in ihr einladendes Inneres zu werfen. Das Gedränge lichtete sich ein wenig und nahm am späten Vormittag wieder zu, als Einkäufer auf die Straßen strömten. Touristen von Terra und dem Mars tauchten auf, ausgerüstet mit Wegweiserkuben und Holokameras, gekleidet in die zur Zeit modischen transparenten Körperhüllen und steifen Sphärencapes. Die Mondbewohner waren inmitten dieser Besucher leicht auszumachen, denn soweit sie überhaupt Kleidung trugen, war ihre Aufmachung seit zehn Jahren aus der Mode: Schimmerstoffe und überlange Haare. Ich trug noch immer den blaßblauen Haftanzug, den ich mir letzte Nacht in Gregs Appartement übergestreift hatte und gab mich als eine Observatoriumsangestellte auf Urlaub. Ich hatte Erfolg damit, denn die Einheimischen beachteten mich überhaupt nicht, und die Touristen schenkten mir nur soviel Aufmerksamkeit wie auch dem Rest der Stadt. Ich wanderte durch die zweite Ebene, dann die dritte, mied den Ort, wo meine alte Wohnung lag, und nahm kaum wahr, was um mich herum vor sich ging.
    Am späten Nachmittag fand ich mich auf der ersten Ebene von Luna wieder, übermüdet und sehr hungrig. Der rumorende Magen setzte sich über meine Angst hinweg, aufgespürt zu werden: Ich nahm in einem kleinen Cafe Platz, bestellte eine einfache Mahlzeit und wartete geduldig, während die Küchenmaschinen summend und surrend mein Essen zubereiteten.
    Eine Frau am Nebentisch warf mir einen Blick zu, dann noch einmal. Ich starrte aus dem Fenster, beobachtete das Gedränge auf den Straßen und hoffte, sie ginge bald. Statt dessen kam sie an meinen Tisch und räusperte sich. Widerstrebend wandte ich mich ihr zu.
    „Oh, entschuldigen Sie, aber sind Sie nicht vom Clarke-Observatorium? Ja, ich bin sicher. Ich war letzte Woche dort, und jemand hat Sie mir gezeigt und gesagt, Sie seien einer der Streckenwärter. Ich glaube kaum, daß ich mich täusche. Ich habe noch nie einen Streckenwärter getroffen.“
    „Nein, es tut mir leid, Sie müssen mich verwechseln“, gab ich nervös zurück. „Ich komme von Gagarin und statte Luna nur einen kurzen Besuch ab; weiter bin ich noch nicht herumgekommen.“
    Mein Widerspruch mußte ein wenig zu heftig ausgefallen sein, denn sie lächelte. „Ich bin so gut wie sicher, daß ich Sie in der Clarke-Station gesehen habe. Und für gewöhnlich bringe ich keine

Weitere Kostenlose Bücher