Versunkene Inseln
benötigt, um zum Gehirn zu gelangen, dort verarbeitet und mit einem Reaktionssignal beantwortet zu werden. Sagen wir zum Beispiel, der Servo überträgt das Bild einer Vase. Daraufhin erfolgt die Anweisung, diese Vase aufzuheben. Doch sie erweist sich als empfindlicher, als es auf dem Bildschirm den Anschein gehabt hat, und sie zerbricht. Stell dir diesen Vorfall in einem größeren Maßstab vor, multipliziere ihn mit zehn für jeden Tauchgang – dann kennst du das Problem.“
„Tobias sagte, du benutzt einen Naßanzug“, warf Jenny ein. „Aus diesem Grund?“
„Und was ist das überhaupt, ein Naßanzug?“ fragte Paul.
„Es ist ein hautenges Kleidungsstück aus Gummi“, erklärte ich. „Ein Paar Flossen für die Füße, Sauerstofftanks mit Schläuchen und Reglern, eine Tauchermaske fürs Gesicht, Gewichte, um den Auftrieb auszugleichen, kleine Antriebsdüsen. Des weiteren gehört noch ein Funkgerät dazu, das in die Tauchermaske integriert ist. Und was die andere Frage angeht: Ja, das ist einer der Gründe, warum ich einen Naßanzug verwende.“
„Und mit nichts weiter als dem Anzug wagst du dich unter Wasser?“ fragte Paul. Unbehaglich setzte er sich auf in dem so ungewohnt massiven Sessel und beugte sich ein wenig vor, um mir direkt in die Augen zu sehen.
„Klar.“
„Aber das ist gefährlich. Du bist völlig ungeschützt.“
„Ich habe einen Stunner. Und meinen Verstand. Weißt du, wenn man gewisse Ergebnisse erzielen will, dann muß man die Risiken abschätzen und akzeptieren. Oder man begnügt sich mit etwas von geringerer Bedeutung, mit etwas Zweitrangigem. Natürlich, das Gerätetauchen in Naßanzügen ist gefährlicher, als in einem kleinen, vollkommen abschirmenden Kraftfeld herumzuschwimmen. Aber wenn man etwas erreichen will, dann kann man keine Ergblasen und Servos benutzen, dann muß man sich Sauerstoffflaschen umschnallen und selbst raus und die Sache gleich beim erstenmal richtig anpacken.“
Erst als ich sie wieder anblickte, merkte ich, wie heftig und leidenschaftlich meine Worte geklungen hatten. Ihre Gesichter drückten jene leidende Aufmerksamkeit aus, die in den Mienen von Leuten zu beobachten ist, die sich aus notgedrungener Höflichkeit ihrem Gastgeber gegenüber Unsinn anhören müssen. Ich seufzte, sagte mir, ich hätte es besser wissen müssen, und stand auf, um ins Haus zu gehen. Die Sonne war ganz hinter dem Horizont versunken, und das letzte Glühen der Dämmerung verblaßte nun rasch zur Dunkelheit der Nacht.
„Ich muß morgen früh raus. Denkt daran, das wir morgen um neun an Bord erwartet werden, ja?“
Sie versicherten mir, rechtzeitig bereit zu sein, und wünschten mir eine gute Nacht. Ich ging ins Haus, noch immer verärgert.
13
Als ich Mitte Zwanzig war, steckte ich, zum erstenmal in meinem Leben vollkommen allein, in der Forschungsstation, die in endlosem Orbit die Sonne umkreist. Nur darauf bedacht, jenen einen Ort des ganzen Universums zu meiden, an dem ich wirklich gern gewesen wäre. Immer auf der Flucht vor dem einen Menschen, nach dessen Gesellschaft ich mich sehnte. In meinen egodramatischen Momenten nannte ich es Schicksal, Bestimmung, Fluch der Sterblichkeit. Kam ich auf den Boden der Wirklichkeit zurück, wußte ich, daß es Feigheit war. Doch lexikographische Unterscheidungen blieben wirkungslos auf die Station oder meine Arbeit. Mit schwindelerregender Geschwindigkeit wirbelte ich um die Sonne und nahm eine Messung nach der anderen vor. Ich unterteilte die Zeit in schlichte Abschnitte, die ich mit schlicht arrangierten Tätigkeiten ausfüllte. Jeden Tag funkte ich meine Berichte zum Mond. Von der Orbitalstation aus wurden sie von
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